Tag 19 - 38 Bäume

Das erste, was ich sehe, als ich aus dem Zelt krieche, ist dieses grandiose Morgenrot.

Doch nachdem der Himmel sich beruhigt hat, sieht die Welt eher eintönig aus. Der Weg verläuft beinah schnurgerade nach Norden über endloses Ackerland. Ich war noch nie im mittleren Westen der USA, aber so oder so ähnlich stelle ich es mir vor. 

Wenigstens klart der Himmel noch etwas auf, so dass ich mir die Zeit damit vertreiben kann, meinem Schatten zuzusehen, wie er erst links neben mir läuft und sich dann ganz langsam vor mich schiebt.

Wie man sieht ist zur Abwechslung ab und an mal eine Pfütze zu umrunden. Außerdem bellen sich hier und da ein paar Wachhunde die Seele aus dem Leib, sobald ich ihrem Zuständigkeitsbereich zu nahe komme. Sonst passiert nichts. Das klingt jetzt ziemlich langweilig, ich empfinde es aber eher als entspannend. Ich träume so vor mich hin und die Zeit vergeht mir überraschend schnell. Als ich nach 26 km die Stelle erreiche, wo ich geplant hatte, mir einen Schlafplatz zu suchen, ist es erst 15 Uhr. Ich fühle mich fit und beschließe, das für heute noch was geht.

Auf die Beobachtung meines Schattens muss ich von jetzt an leider verzichten, denn der Himmel zieht sich zu. Dafür kann ich den Wolken zuschauen, die echt tolle Sachen machen. 

Langsam nähere ich mich Merida, der Hauptstadt der Region Extremadura. Sie hat immerhin 60 000 Einwohner, was zumindest ausreicht, um ein zugemülltes Vorstadtschnellstraßengewirr zu erzeugen. Auf diesem Stück ist der Camino wirklich nicht schön. Extra große Schilder lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass ich die Standspur einer autobahnartigen Schnellstraße als Wanderweg benutzen soll. Okay, dann mache ich das eben. Augen zu und durch.

Hinterher wird der Camino sogar noch hässlicher. Zwischen Müllbergen und Bauruinen will ich nicht übernachten.

Also auf zur Pilgerherberge in Merida, und zwar schnell, denn es wird bald dunkel. 

Auf der alten Römerbrücke der Stadt kommt mir jemand winkend entgegen und spricht mich an. Jetzt wäre es mal wieder gut Spanisch zu können, denn Englisch hilft wie so oft nicht weiter. Doch mit Händen und Füßen geht's auch. Er zeigt auf sich selbst sagt "Hospitalero" und deutet dann in Richtung der Herberge am anderen Flussufer. Ich nicke und zeige meinen Pilgerausweis. Damit ist die Sache für ihn klar. Er winkt mir, dass ich ihm folgen soll, und ich mache das einfach mal. Was für ein glücklicher Zufall denke ich, aber auf dem Weg sammeln wir noch drei Leute mit großen Rucksäcken ein. Vielleicht ist das hier so üblich, dass die Hospitaleros abends die Pilger von der Straße holen. Wie dem auch sei, ich liege jetzt in einem warmen Schlafsaal auf einer weichen Matratze und bin frisch geduscht. Mehr brauche ich gerade nicht.