Tag 75 - 1890 Bäume

Huchhu! Als ich die Augen aufmache, kleben keine Nacktschnecken über mir an der Zeltplane, und es lachen mich gleich mehrere blaue Flecke am Himmel an.  

Frankreich gibt sich hier im Parc natural régional Périgord Limousin ganz anders als während der letzten Wochen. Heute sehe ich die ersten größeren Fichtenwälder. Nix mehr mit mediterran! Solche Fotos könnte man auch im Harz machen. Wunderschön ist es dennoch und, wie durchs Blätter- oder besser Nadeldach deutlich zu erkennen, ist der Himmel schon vormittags zu 50% blau! Bei den 50% bleibt es dann allerdings auch, mit leichten Schwankungen, doch irgendwo sind immer Wolken. Also, ihr ahnt es schon, es ist mal wieder Zeit für eine Wolkenbilder-Serie 😊 

Und zwischen all den schönen Wolken gibt's auch noch nette Gesellschaft am Wegesrand.

Mittags erreiche ich einen Supermarkt. Heute gönne ich mir als Abwechslung zum Friedhofswasser mal eine Flasche Himbeersaft. Irgendwie erinnert mich der Geschmack von Himbeeren immer an Kindheit und macht mich wahnsinnig glücklich. Gut, hier sind laut Etikett nur 40% Himbeeren drin, der Rest ist Zucker, aber Zucker macht ja bekanntlich ebenfalls glücklich. Also runter mit dem Zeug. 

Kurz darauf komme ich durch den Ort St-Hilaire-les-Places, der nicht weiter erwähnenswert wäre, wäre er nicht mit dem deutschen Gutenstetten verpartnert. Am interessantesten an diesem harmonischen Miteinander finde ich das Schild am Ortsausgang, das, obwohl ich keine Ahnung habe, wo Gutenstetten liegt, wohl doch so ungefähr in meine Richtung zeigt und mir Auskunft gibt über die während der kommenden Wochen zurückzulegende Entfernung.

Doch eigentlich kann ich kaum glauben, dass es wirklich noch so weit ist, denn schon das nächste Dorf namens Nexon könnte ebensogut auch Gutenstetten sein. Deutschland und Frankreich sind sich oft erstaunlich ähnlich. 

Auch außerhalb von Gutenstetten, Nexon und St-Hilaire-les-Places geht die deutsch-franzosische Freundschaft inzwischen schon erfreulich weit. Nicht nur wir benutzen für das eine oder anderen Nahrungs-oder Genussmittel französische Bezeichnungen, die Franzosen verwenden auch deutsche Begriffe. Allerdings frage ich mich, ob sich ein so klangvolles Wort wie "Marzipanstollen" überhaupt in irgendeiner anderen Sprache adäquat wiedergeben lässt. 

Mal kurz Spaß bei Seite: Ich freue mich tatsächlich jeden Tag darüber, dass ich in diesem Land, gegen das Deutschland vor gar nicht so langer Zeit entsetzliche Kriege geführt hat, so herzlich aufgenommen werde und mich völlig frei bewegen darf. Vorgestern habe ich in einem Dorf einen alten Man getroffen, 92 Jahre, der offenbar Lust hatte, sich mit mir zu unterhalten. Er hat immer wieder betont, was für ein großes und schützenswertes Wunder die EU für ihn sei. Von der Idee, Europa zu Fuß zu durchqueren, war er absolut begeistert und wollte viel mehr über meine Wanderung wissen als ich auf Französisch sagen konnte. Zum Abschied hat er mir auf die Schulter geklopft und gemeint, wenn er 60 Jahre jünger wäre, dann würde er mich begleiten. 

Okay, nach diesem kleinen Exkurs zu vorgestern zurück zu heute: endlich mal wieder Gelegenheit für ein kapuzenfreies Selfie mit ein bisschen Abendsonne im Gesicht! Und dann, wie immer, mein Schlafplatz, auch der mit Abendsonne. 

Als krönender Abschluss der Blick aus dem Zelt ins Abendrot. Ja, dafür lohnt sich das Risiko mäßig legalen Wildzeltens allemal! Genau für solche herrlichen Augenblicke bin ich unterwegs!