Tag 95 - 2426 Bäume

Der Weg hinab zum Kloster Clairvaux hüllt sich in Frühnebel. 

Das Kloster ebenfalls. Leider ist es hier durch allerlei Schilder, Parkplatzmarkierungen, moderne Poller und Laternen geglückt, selbst bei diesem geheimnisvoll-mystischen Wetter kein Gefühl von Mittelalter mehr aufkommen zu lassen. 

Wenig später überquere ich die Aube, die diesem Département den Namen gibt. 

Inzwischen ist es nach zehn, doch über den Flussauen lagern noch immer dicke Nebelschwaden. 

Scheint ein zeitlich und räumlich recht ausgedehnter Frühnebel zu sein, denn um die Mittagszeit weiter oben im Wald hat sich an den Sichtverhältnissen nach wie vor nichts geändert. Doch dann, als ich aus dem Wald heraustrete, reißt der Himmel auf. Jetzt hat meine nasse Wäsche endlich eine Chance!

Bei herrlichem Wetter erreiche ich den Ort Colombey-les-Deux-Églises, der sich damit rühmt, dass Schaumwein hier Champagner heißen darf. Ich bin also in der Champagne. Allerdings wirklich bloß am ganz östlichen Rand. Übrigens habe ich Aube verlassen und befinde mich mittlerweile im Département Haute-Marne. 

Colombey-les-Deux-Églises ist ein blankgeptztes, stinkreiches Kaff, das offenbar davon lebt, das zahlungskraftiges Publikum hierher kommt, um Champagner zu verköstigen.

Ich begnüge mich mit einer Dose Cola, doch auch die gibt's hier bloß zum Champagner-Preis - zwei Euro finde ich jedenfalls ganz ordentlich. Dafür möchte ich dann wenigstens kurz sitzen.

Pikierte Blicke streifen meine matschbespritzten Hosenbeine. "Ja, ich geh eben wandern. Das ist für mich genauso schön wie für euch das Schlürfen von Luxusgetränken. Jedem das Seine, okay?!" so geht es mir durch den Kopf.

Der Friedhof rund um die schmucke Kirche ist natürlich videoüberwacht. Na gut, dann werde ich eben nett in die Kamera lächeln, während ich Wasser klaue. Leider ist der Hahn mit einem Schloss gesichert. Mann, wovor haben die hier nur soviel Angst in Champagner-City? Okay, Charles de Gaulle liegt hier begraben, aber dem kann jetzt auch keiner mehr was tun, und dass ich hier ein bisschen Wasser zapfen will, wäre wahrscheinlich sein geringstes Problem. Egal! Auf jeden Fall brauche ich Wasser. Sicher gäbe es zahlreiche Möglichkeiten, für schlappe fünf bis sechs Euro ein oder zwei Liter Designerwasser zu erwerben, doch von überteuerten Getränken in umweltunfreundlicher Verpackung habe ich für heute genug. 

Ha, meine Rettung, die öffentliche Toilette! Zwar ist die ebenfalls videoüberwacht, doch dann gibt's eben 'nen schicken Film vom schlammbesudelten Wasserdieb. Ich glaube, jeder Wanderer hat sich schon mal über diese Mini-Waschbecken geärgert, bei denen man das Gefühl hat, dass sie extra so gemacht sind, dass keine Trinkflasche unter den Hahn passt. Doch wofür habe ich meine Tasse dabei! 

So, jetzt schnell weg hier! Champagner-City ist gar nicht so groß wie es tut, und so stehe ich ziemlich rasch wieder mitten im nirgendwo.

Ich lasse mich am Wegesrand nieder, esse lachgesichtige Kekse und fühle mich tausend mal zufriedener als mit einem hochpreisigen Stück Kuchen in einer vermutlich videoüberwachten Konditorei. 

Der Himmel zieht sich wieder zu, doch ich hatte meine zwei Stunden Sonne. Für die Wäsche an meinem Rucksack hat das gereicht, und es ist jetzt alles wieder wasserdicht im Rucksack verstaut. Der Regen kann kommen. 

Und das tut er auch. 

Einen Schlafplatz finde ich trotzdem problemlos, denn Wald gibt's hier reichlich. Jetzt liege ich trocken und warm da drin, und ab und zu tröpfelt es ein bisschen auf die Plane. Solche Abende im Zelt sind wahnsinnig gemütlich!