Tag 267 - 6575 Bäume

Beim Zeltabbau wird mir klar: Nordkap heute! Ich sollte mich beeilen, denn die Welt hier oben geht langsam in den Winterschlaf. 

Über allem liegt eine dünne weiße Schicht, und es weht ein eisiger Wind, manchmal so kräftig, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann. Ab und zu kommt ein Schauer, mehr Hagel als Schnee. Jedenfalls sind die Körner so fest, dass es richtig wehtut im Gesicht. Alles in allem ungemütlich, doch heute kann mich nichts umhauen, denn heute komme ich an! Und genießen kann ich auch diese Etappe, denn atemberaubend schön ist die Landschaft allemal! 

Nachdem ich die höchsten Pässe der Insel hinter mir habe, wird es etwas sonniger.

Ich komme gut voran, ich laufe fast mechanisch, wie aufgezogen. Und beinah ungerührt, als ob nichts wäre, passiere ich dieses Schild und gehe die letzten 500 Meter bis zur Nordkap-Halle. Schritt für Schritt und die Stöcke klacken auf dem Asphalt, mein Rhythmus eben, meine liebgewonnene Langsamkeit, seit neun Monaten. 

Hinter der Nordkap-Halle ist es so weit, ich nähere mich dem Metallglobus, der seit Tarifa in meiner Vorstellung herumgeistert.

Dass ich ihn allerdings ganz für mich allein haben würde, weil absolut niemand hier ist, das hatte ich nicht erwartet. 

Kein Mensch, der mich fotografieren könnte, also muss ein Selfie erstmal reichen. Dann ist Bernoscha an der Reihe, mein treuer, schweigsamer Reisebegleiter und seit heute das erste, einzige und kleinste Schaf, das Europa komplett aus eigener Kraft zu Huf durchquert hat. 

Ich setze mich neben den Globus und schaue aufs Meer hinaus. 

Irgendwo da draußen liegt der Nordpol. Der südlichste Punkt Europas ist weit weg von hier, und doch erinnere mich, als sei es gestern gewesen, wie ich am 4. Januar über die Straße von Gibraltar hinweg die Konturen der afrikanischen Küste erkennen konnte. 

Ich hätte noch Kraft, ein paar Kilometer zu gehen. Schließlich waren das heute erst 23 und damit eine eher kurze Etappe. Doch der Weg ist zu Ende und vor mir nur noch Wasser soweit das Auge reicht. Merkwürdig, seit Anfang des Jahres mache ich nichts anderes als nach Norden zu laufen und nun geht das plötzlich nicht mehr.... 
Ein paar andere Besucher reißen mich aus meinen Gedanken, und es ist doch noch was anderes als ein Selfie drin. 

Dann gehe ich, und zwar nach Süden. Was für ein komisches Gefühl! Doch es ist nicht weit, nur ein paar hundert Meter, dann baue ich mein Zelt auf. Morgen früh, wenn auch das Museum geöffnet hat, will ich noch einmal wiederkommen. 

Der letzte Schlafplatz, die letzte Nacht meiner Tour. Ich bin ein bisschen wehmütig, dass diese Reise nun zu Ende ist. Doch zugleich freue ich mich wahnsinnig auf zu Hause, darauf, nach so viel Unterwegssein und Fremdsein in eine vertraute Umgebung und zu vertrauten Menschen zurückzukehren. Und neben Wehmut und Freude ist da noch ein drittes Gefühl: eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass es mir vergönnt war, diese Wanderung zu vollenden, ohne krank zu werden, ohne mich zu verletzen, ohne nennenswerte schlechte Erfahrungen, ohne wirklich gefährliche Zwischenfälle und die allermeisten Zeit in bester Laune. Das grenzt eigentlich an ein Wunder, ein Wunder, das ich erst nach und nach ganz begreifen werde.

Ein paar Kleinigkeiten werde ich in den nächsten Tagen und Wochen noch posten. Ich muss ja irgendwie noch nach Berlin zurück. Also schaut gern ab und zu nochmal hier rein!