Tag 6: Ein Regentag wie im Märchen

"Die Erde hüllte sich in Regendunst" heißt es bei Nils Holgersson, als die Wildgänse Blekinge überfliegen. Gestern Abend vorm Einschlafen habe ich die Stelle gelesen und heute morgen war das Märchen Wirklichkeit geworden. Tja, ich hatte mir ja flüssiges Wasser gewünscht, das hab ich nun davon.

Naja, irgendwie ist der regendunstig-verwunschene Wald ja auch ganz schön. Nur dass ich nicht allzu viele Fotos davon machen kann, da mein Handy immer nur kurz außerhalb seines wasserdichten Beutels bleiben darf. Eine Unterwasserkamera wäre jetzt hilfreich, hab ich aber nicht.

Es pladdert ununterbrochen. Immer wieder phantasiere ich von Möglichkeiten, um mich unterzustellen und halte so ziemlich jeden regendunstig verschwommenen Felsbrocken von weitem zunächst für eine Hütte. Einmal habe ich tatsächlich ein bisschen Glück und finde wie durch Zauberhand ein märchenhaftes Plätzchen, das schwer danach aussieht, als ob hier eigentlich irgendein Kobold wohnt. Egal, es reicht, um im Trockenen ein paar Stück Schokolade zu essen.

Von dieser Pause abgesehen habe ich die Kilometer heute einfach runtergerissen. Es war ein Tag, der mir ein wenig Durchhaltevermögen abverlangt hat. Zumal der vollgesogene Rucksack echt schwer war: nasse Sachen wiegen logischerweise mehr als trockene und dazu noch das viele Essen für die nächsten fünf Tage, das ich gestern in Rönneby gekauft habe. Zwischendurch aufgemuntert hat mich diese Wegmarkierung. Wenigstens Wanderwege trauen sich noch, die Regenbogenbinde zu tragen. Wenn das keine gute Nachricht ist!

Ein bisschen Abwechslung brachten außerdem die Rufe der Wildgänse. Immer wieder konnte ich sie in großen Scharen über mich hinwegziehen sehen. Bewundernswert mühelos! Wahrscheinlich fliegen sie dem schlechten Wetter einfach davon. Mir bleibt nichts anderes übrig, als weiter durch den Matsch zu stapfen. Nachmittags hört der Regen endlich auf. Märchenhaft bleibt es trotzdem, denn jetzt komme ich in eine ganz und gar verzaubert wirkende Landschaft mit bizarr geformten, windschiefen Bäumen.

Man würde es vielleicht nicht vermuten, aber das ist tatsächlich sozusagen der Uferstreifen der Ostsee. Der Blekingeleden hat mich von Karlskrona aus in einem weiten Bogen zunächst nach Norden und dann zurück nach Süden geführt. Nun stehe ich wieder am Meer, Punkt Nummer 2 auf der Karte.

Sieht allerdings ein bisschen rauer und wilder aus als in Karlskrona. Die Küste von Blekinge ist schärenartig zerklüftet mit felsigen Buchten und unzähligen kleinen Inseln. Ich hatte gehofft, ich könnte diese Gegend bei schönerem Wetter erleben, aber klappt ja vielleicht morgen.

Jetzt bin ich erstmal sehr froh, dass ich unten im Wald einen sogenannten vindskydd, auf deutsch Windschutz, finde. Die gibt es in Schweden an den Wanderwegen häufig. Es sind an der Vorderseite offene Unterstände, die man zum Übernachten nutzen darf.

Heute kommt so ein Ding natürlich wie gerufen, denn da drinnen ist es viel trockener als in meinem Zelt. Ich höre die Ostsee rauschen und kann sie zwischen den Bäumen hindurch sogar sehen. Ich koche mir gemütlich einen großen Pott Kaffee, esse zu Abend mit Meerblick und schon wieder kommt mir alles bisschen märchenhaft vor.

Mal sehen, was mein Schweden-Märchen morgen bringt.