Tag 11: Wenn man Stille hören kann

Direkt unten am See, an dem der Campingplatz liegt, bin ich sofort wieder auf dem Blekingeleden. Wahrscheinlich eine tolle Badestelle, doch heute gar nicht nötig. Mir jedenfalls gelingt es, von oben bis unten nass zu werden, auch ohne ins Wasser zu springen.

Bernoscha, noch ganz beschwingt von seinem gestrigen Troll-Kontakt, wirft sich in sein Toppits-Regenmäntelchen und weiter geht's, tapfer über Stock und Stein.

Heute ist der Tag der vielen wirklich schönen Rastplätze. Leider passt das Wetter nicht perfekt, aber man kann nicht alles haben.

Zwar regnet es nicht permanent. Trotzdem ist und bleibt alles feucht und klamm. Meine Kleidung, der Rucksack und irgendwie sogar die Schokoriegel, obwohl sie eigentlich gut verpackt sind. Ein nasser Dunst liegt in der Luft und lässt den Wald sehr geheimnisvoll erscheinen.

Kein Lüftchen regt sich. Die Welt ist heute fast unheimlich still. Weiße Nebelschwaden wabern über die spiegelglatten Seen und schlucken jeden Laut.

Nachmittags verlasse ich Blekinge und erreiche Skåne, die nächste Provinz auf meinem Weg durch Schweden. Skåne ist deutlich größer und daher werde ich hier ein bisschen länger unterwegs sein als in Blekinge.

Ich denke noch einmal zurück und nehme innerlich Abschied von Blekinge und vom Blekingeleden, der ab jetzt Skåneleden heißt. Selma Lagerlöf beschreibt Blekinge als Treppe, die in mehreren Stufen vom rauen Hochland zur deutlich lieblicheren Ostseeküste hinabführt oder auch hinauf, je nachdem in welche Richtung man läuft. Genau dieses abwechslungsreiche Auf und Ab zwischen den noch tief verschneiten Wäldern nördlich von Karlskrona und wenigen Tagen später der schon fast frühlingshaft blauen See habe ich auch erlebt. Zum Abschied wartet Blekinge heute im Kleinen nochmal mit allem auf, was es treppenmäßig zu bieten hat. Es ist ein ziemlich steiniges Rauf und Runter über ein Gewirr aus felsigen Höhenrücken hinweg, zwischen die sich unzählige Seen mit ihren deutlich tiefergelegenen Uferstreifen schieben.

Mein Schlafplatz liegt bereits in Skåne, doch so viel anders sieht es hier erstmal gar nicht aus. Meine Wetterapp behauptet, dass ab 18 Uhr die Sonne scheinen soll. Es sind noch 21 Minuten bis dahin. Ich warte gespannt.

18:10 Uhr: Ich entschließe mich, ein paar zum Trocknen bereite Opfergaben in einen wäschständerartig geformten Baum zu hängen, um den Sonnengott gnädig zu stimmen.

18:47 Uhr: Immer noch keine Reaktion. Die Lage verdüstert sich zusehends. Inzwischen habe ich aus Verzweiflung meinen eigenen kleinen Wärmegenerator angeworfen.

19:00 Uhr: Meine Wetterapp behauptet, dass die Sonne untergegangen ist. Ich krieche ins Zelt.

Nachdem ich den Reißverschluss zugezogen habe, lausche ich in die Stille hinein, die so raumgreifend und intensiv ist, dass sie mir beinah laut vorkommt. Auf jeden Fall ist sie sehr präsent und man kann einfach nicht weghören. Sie drängt sich förmlich auf, man muss sie spüren. Kein Windhauch streicht über das Zelt, kein einziger Tropfen fällt auf die Plane. Ich bin fast erleichtert als irgendwann ein Waldkauz zu rufen beginnt, wie um mich zu erinnern, dass die Welt da draußen noch existiert. Ich denke, jetzt werde ich beruhigt einschlafen. Morgen geht es dann weiter auf dem Skåneleden und vielleicht scheint ja sogar die Sonne.