Tag 45: Die ersten Tausend

Morgens beim Zusammenpacken fällt mir mehr noch als gestern Abend auf, wie klar das Wasser des Sees ist, an dem ich geschlafen habe.

Ich trinke zum Frühstück gleich noch eine ganze Flasche davon leer, was sich als gute Entscheidung erweist, denn es ist heute so richtig heiß. Ja wirklich! Schon vormittags ist es so warm, dass ich in kurzer Hose und T-Shirt laufe und trotzdem schwitze. Fast ein bisschen unheimlich: Noch kein Blatt an den Bäumen und trotzdem liegt auf allem eine schwere, reglose und trockene Sommerluft.

Doch Schweden wäre nicht Schweden, wenn man nicht trotzdem Chancen hätte, ein bisschen nass zu werden. 

Es gibt in diesem Land einfach so viel Sumpf, dass es schon sehr lange nicht geregnet haben muss, damit die Füße trocken bleiben. Aber heute macht das nichts, denn jeder Tropfen auf dem Schuh ist nach kurzer Zeit verdunstet und bekommt gar keine Gelegenheit, bis zur Socke durchzudringen.

Die Nadelbäume und der Bodenbewuchs leuchten so knallgrün, dass die kahlen Zweige der Laubbäume kaum auffallen. 

Was jedoch auffällt ist, dass der Wald dadurch weniger Schatten spendet. Die Sonnenstrahlen dringen ungehindert bis zum Boden durch bzw. bis auf meine nackten Arme, wo sie richtig brennen, so dass ich froh bin, um jedes Stück Weg durch tiefen Nadelwald. 

Ich brauche Sonnencreme. Zum Glück kommt ja heute in Hindås ein Supermarkt. Doch vorher kommt noch was anderes:

Ja, ihr habt richtig gesehen: Bernoscha und ich knacken die 1000 Kilometer!

Bernoscha, hier nochmal etwas rangezoomt, schnurrt wie eine weiße Aufziehmaus völlig nonchalant einfach über den Meilenstein hinweg. Ich hingegen genehmige mir eine kurze Pause, um wenigstens ein paar Erdnüsse auf die neue Vierstelligkeit zu essen.

Nicht sehr feierlich, ich weiß. Aber ich hab gerade nichts anderes. Es wird Zeit für den Supermarkt. Also weiter, Bernoscha hat ja recht, wie so oft.

Ein paar Bäume und etwa zwei Stunden später taucht das hier auf:

Nett, aber wo ist der Supermarkt? Sieht irgendwie nicht danach aus. Ich hoffe inständig, dass Google keinen Blödsinn erzählt hat, denn ohne Einkaufsmöglichkeit wäre ich mit meinen drei Erdnüssen im Gepäck ein bisschen aufgeschmissen.

Gottseidank enthüllt sich hinter den Holzhütten tatsächlich so etwas wie ein urbanes Mini-Zentrum. Zuerst ein Bahnhof, von dem aus man mit dem Regionalzug in ungefähr 15 Minuten von Göteborg hierher fahren kann. Eine information, die ich nicht gebraucht hätte und angesichts derer ich mich ziemlich langsam und noch ein bisschen träger fühle als sowieso schon.

Doch der Supermarkt, der sich hinter der Wartehalle versteckt, heitert mich wieder auf. Mit einem Eis und einem kühlen Getränk lässt sich an einem Tag wie diesem so einiges bewirken. Außerdem hab ich richtig Heißhunger auf Ananas. Das passiert mir manchmal beim Wandern, vor allem wenn es sehr warm ist. Also stoße ich mit mir selbst und einer Dose Ananas auf die nächsten 1000 Kilometer an. Prost!

Und natürlich investiere ich in eine Tube Sonnencreme. Wenn mir jemand dies zu Beginn der Tour prophezeit hätte, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Unfassbar, dass ich vor sechs Wochen noch durch den Schnee gestapft bin.

In Hindås endet der Vildmarksleden, doch im Wanderparadies Schweden schließt der nächste Wanderweg natürlich sofort nahtlos an.

Sjuhäradsleden, das kann man ungefähr als Sieben-Grafschaften-Weg übersetzen. Sieht erstmal aus wie ein Zungenbrecher, ist aber gar nicht so schwer. Das im Schwedischen häufige "sj" wird wie etwas irgendwo zwischen dem "ch" in "ich" und dem in "ach" gesprochen, das "u" ist ein "ü" und schon könnt ihr "sieben" auf Schwedisch sagen.

Der Vildmarksleden war wunderschön, nur viel zu kurz. Ich wäre ihm gern noch länger gefolgt. Zum Glück hat auch der Sjuhäradsleden jede Menge Felsen, Bäume...

...und Seen in doppelt und vierfacher Dosis zu bieten.

So kann ich den Wechsel dann doch ganz gut verkraften. Froh über die angenehme Kühle, die sich gegen Abend ausbreitet...

...laufe ich so lange weiter, bis mein Schatten richtig lang geworden ist. 

Dann suche ich mir einen Schlafplatz im Wald. Der Boden ist etwas rumpelig, doch nach einigem hin und herlaufen finde ich ein halbwegs ebenes Fleckchen, wo mein Zelt ziemlich genau hinpasst. Wenn man ein paar Nächte wildgecampt hat, dann bekommt man allmählich das richtige Augenmaß, um diese Stellen zu finden. Ist ein bisschen wie Einparken.

Noch eine ganze Weile liege ich in kurzer Hose im Zelt. Denn es bleibt auch nach Sonnenuntergang noch lange warm. Erst als es schon fast dunkel ist, wechsel ich in meine langen Schlafklamotten. Ob ich den Schlafsack heute überhaupt brauche? Mal sehen.