Tag 52: Viele Wege führen nach Jönköping

Nachdem ich sowieso schon viel zu lange ausgeschlafen habe, verquatsche ich mich auch noch beim Kaffeekochen mit einem Schweden, der mal in Berlin gelebt hat. So kommt es, dass ich erst nach 12 Uhr mittags auschecke. Für mich egal, muss ich eben etwas schneller wandern, aber die Leute an der Rezeption sind vielleicht sauer darüber. Jedenfalls hing da, wenn ich mich richtig erinnere, irgendein vergilbter Zettel an der Tür, dass man bis spätestens elf Uhr verschwunden sein soll. Naja, vielleicht gilt der ja nicht mehr oder nicht immer. Hinterm Tresen sitzt dieselbe Frau wie gestern und zwar so, als hätte sie sich nie dort wegbewegt bzw. als wäre immer noch gestern und ich in irgendeiner Zeitschleife gefangen. Ich entschuldige mich für mein spätes Erscheinen. Sie winkt ab "Ta der lugnt" sagt sie nur. Das heißt so viel wie "Immer mit der Ruhe" - eine Redensart, die in Schweden ziemlich inflationär gebraucht wird. Tatsächlich geht hier Vieles deutlich geduldiger und gelassener zu als in Deutschland. Wenn mal was länger dauert oder nicht so klappt, regt sich keiner darüber auf. Auf der Straße wird so gut wie nie gehupt, an der Supermarktkasse drängelt sich keiner vor und wenn der Bus mal Verspätung hat, beschwert sich niemand, man wartet einfach. Das können die Schweden wirklich besser als wir. Auch die Frau an der Rezeption hat einfach gewartet und darauf vertraut, dass ich schon irgendwann mal zum Bezahlen vorbeikomme. Und das, obwohl sie gestern keinen Ausweis sehen wollte, sondern einfach nur auf einem Schreibblock meinen Vornamen notiert hat, und genau da hakt sie jetzt auch ab: Philipp, 100 kr, betalas. Wenn man's mal ruhig und unspektakulär haben will, ist der Campingplatz in Mullsjö echt ein cooler Ort. Die Preise sind fair und eine kleine Kindheitserinnerung gibt's noch gratis oben drauf, denn Waschräume und Küche sind eine ziemlich überzeugende Zeitreise zurück in die Achtziger, dabei jedoch absolut funktionstüchtig, nur eben ohne Schnickschnack. Waschmaschine und Trockner sind nicht mehr ganz neu, dafür kostet das Waschen aber auch nur halb so viel wie auf anderen Campingplätzen, und es geht trotzdem ohne Zwischenfall, sprich hinterher riechen meine Klamotten sauber, bei unveränderter Farbe und Größe. Sorry für diesen ungewöhnlich langen Exkurs über schwedischen Lifestyle und die Unterschiedlichkeit von Campingplätzen. Jetzt geht's endlich los. Ist ja auch schon fast 13 Uhr.

Rund um Mullsjö wächst ungefähr genauso viel Kiefernwald wie rund um Berlin. Aber, auch wenn das schwer zu glauben ist, es ist hier tatsächlich noch ein bisschen menschenleerer als in Brandenburg. Wem das jetzt alles zu einsam ist, morgen erreiche ich Jönköping, wo wieder etwas mehr los sein dürfte.

Um dort hin zu gelangen, benutze ich nicht nur einen, sondern viele Wanderwege. Gleich vier, um genau zu sein, und das an einem einzigen Tag - das hab ich glaub ich noch nie geschafft.

Entsprechend abwechslungsreich ist die Strecke. Zu den Kiefern kommen andere Bäume hinzu. Mal laufe ich auf Pfaden...

...mal auf Feldwegen...

...mal auf Straßen.

Weide, Acker, Wald - alles dabei, wie ihr seht.

Und eine wirklich hübsche Holzkirche gibt's noch oben drauf.

Als ob das noch nicht Abwechslung genug wäre, bleibt es auch auf der Wolkenleinwand spannend: Von locker-flockig...

...bis hoch dramatisch und alles dazwischen.

Netterweise kommt der Film heute völlig ohne irgendwelche Spielarten der Wolkenentleerung aus: kein Hagel, kein Schnee, kein Regen. Ich bin begeistert, ein wirklich guter Streifen!

So ist auch mal eine längere Pause drin mit essen, Beine ausstrecken und vor mich hin starren.

Übrigens muss ich gar nicht die ganze Zeit nach oben gucken, um zu verfolgen, was am Himmel passiert. Bei so vielen Sümpfen und Seen wird oft genug auch der Boden zur Leinwand und am Ufer sitzt man immer in der ersten Reihe.

Auf den letzten Kilometern schließt sich der Kreis und ich gehe wieder durch Kiefernwald. 

Die Krönung ist ein wunderschöner Schlafplatz an einer wildrauschenden Stromschnelle. 

Während ich dem Tosen des Wassers lausche, fühle ich mich ein bisschen wie eins dieser winzig kleinen Menschlein auf einem der Gemälde von Caspar David Friedrich.