Tag 71: Nicht jeder muss ein großer Berg werden

Heute morgen verzichte ich auf ein weiteres Bad in meiner Badewanne, denn der Service einer kräftigen Dusche reicht, um nass zu werden, völlig aus. 

Ich sehe zu, dass ich verschwinde, allerdings nur bis zum nächsten vindskydd.

Hier baue ich das Zelt nochmal zum Trocknen auf, mache es mir gemütlich, lausche dem Regen und warte ab. Wenn ich heute mal nicht so weit komme, ist das kein Problem. Von Stockholm trennen mich nur noch etwas über 200 km und ein Bett im Hostel habe ich mir sowieso erst fürs Pfingstwochenende gebucht. Bis dahin sind es noch zehn Tage und damit 1-2 mehr als ich für diese Strecke brauchen sollte. Ich habe also genug Zeit, um zu trödeln 😊

Während ich Kekse esse, den einen oder anderen Kaffee trinke und weiter in meinem schwedischen Krimi lese, kommt ganz allmählich die Sonne raus. Und schließlich mache ich mich wieder auf den Weg weiter durch den wilden Kolmården.

"Die Bäume wuchsen überall, wo sie auch nur eine Handvoll Erde zum Festklammern finden konnten" schreibt Selma Lagerlöf sehr treffend wie ich finde.

Und weiter heißt es: "Überall türmen sich stolze Felsmassen, die dazu bestimmt zu sein scheinen, wolkenhohe Berggipfel zu tragen. Alles ist gewaltig und wild und groß angelegt, und doch fehlt dem Ganzen die rechte Höhe oder Gestalt." Auch diese Charakterisierung passt perfekt.

Und obgleich keine Bergriesen aus ihnen geworden sind, lohnt es sich doch, die großen und kleinen Felsbrocken einmal genauer zu betrachten.

Im Kolmården steckt das Besondere nicht in einzelnen herausgehobenen landschaftlichen Highlights, sondern im Detail.

Jeder Quadratmeter Boden ist schon für sich allein ein Kunstwerk und alle zusammen ergeben sie jene verwunschene Atmosphäre, die diesen Wald ausmacht.

Und dann gibt es natürlich noch die vielen zauberhaften kleinen Seen...

...die ebenfalls maßgeblich für märchenhafte Stimmung sorgen.

Nachmittags lichtet sich der Wald und ich bekomme Aussicht auf Bråviken.

Bråviken ist kein See, sondern die See - ein Arm der Ostsee, um genau zu sein.

Damit habe ich Südschweden von der westlichen zur östlichen Küste durchquert und stehe wieder am Meer.

Man hört die Möwen schreien und die Wellen rauschen. Moos und Felsen des Kolmården reichen bis in die Brandung hinab. Die Luft schmeckt nach Meer und Wald zugleich.

Mit dem schweren Rucksack hier hinunter und wieder hinauf zu kraxeln, ist ziemlich anstrengend. Und als ich endlich wieder oben ankomme, bin ich reif für den Schlafsack.

Ich finde ein Plätzchen ganz im Kolmårdenstyle zwischen lauter dick bemoosten Felsen, die vielleicht einmal dachten, sie würden gern große Berge werden, jetzt aber auch so vollkommen glücklich und zufrieden sind.