Tag 85 - 2149 Bäume

Und weiter geht's am Canal du Berry entlang. 

Gleich auf den ersten Metern der heutigen Etappe habe ich eine wunderbare Begegnung: Nutria, die einfach so neben mir her schwimmen.

Und es geht gut weiter: Ich kann den ganzen Tag daran arbeiten, den Farbkontrast zwischen meinen Armen und Beinen loszuwerden. Mit anderen Worten: wieder kurze-Hosen-Wetter! 

Kennt ihr diese Tage, an denen der Frühling einfach so mächtig ist, dass er einen irgendwie von oben bis unten erfasst? Heute ist so ein Tag: Blütenduft kitzelt mir in der Nase, vor meinen Augen flattern Schmetterlinge auf und ab und die Sonne lässt meine Haut so warm werden, dass ich mir absolut nicht vorstellen kann, jemals wieder zu frieren (obwohl ich natürlich weiß, spätestens morgen früh, wenn ich aus dem Schlafsack krieche, werde ich wie üblich vor mich hin bibbern). 

Ein Loire-Schloss habe ich noch nicht zu bieten, denn die Loire überquere ich erst morgen, aber immerhin ein Canal du Berry-Schloss. Auch nicht schlecht, oder? 

Kanal, Kanal, Kanal... Aber gegen Nachmittag geht's dann doch zurück auf die Straße und es ist wieder Asphalt-Treten angesagt. 

Bei soviel Wald sollte es eigentlich kein Problem sein, einen Schlafplatz zu finden. 

Doch mein Schatten wird länger und länger und ich suche immer noch. Warum? Ich bin im Funkloch, hätte aber einfach zu gern Netz, um euch von meinem Tag zu erzählen. Also gehe ich weiter und immer weiter. 

Es wird schon langsam finster im Wald, als ich an dieses Schild komme. Ich stehe auf der Grenze zwischen dem im Zweiten Weltkrieg besetzten und dem nicht besetzten Frankreich. Eigentlich sollte ich es jetzt echt eilig haben, mein Zelt aufzubauen. Trotzdem halte ich kurz inne. Wieder einmal wird mir klar, was für ein großes Wunder das vereinigte Europa ist. Dass dieser Kontinent ein einziges Schlachtfeld war, liegt kaum ein Menschenalter zurück, das ist nicht viel. Und dennoch, ich als Deutscher darf mich in ganz Europa frei bewegen und werde überall herzlich aufgenommen. Es ist wunderbar zu spüren, dass Frieden stärker ist als Krieg, und es macht Hoffnung zu wissen, dass aus Feindschaft Freundschaft werden kann. 

Zwar habe ich jetzt wieder Netz, doch ich laufe trotzdem noch ein Stück weiter. Hier genau auf dieser Linie will ich nicht Zelten. Das käme mir irgendwie unpassend vor und ich fände es auch ein bisschen unheimlich. 

Es wird richtig spät, bis das Zelt endlich steht, - und eigentlich sogar noch später, denn ich hatte heute morgen keine Lust auf Zeitumstellung und habe das erstmal ignoriert. Doch ich fürchte, irgendwann werde ich meine Uhr wohl umstellen müssen. Vielleicht morgen...