Tag 106: Into the Wild

Nach einer abwechslungsreichen und wunderschönen Pause mit ungewohnt viel Gesellschaft und ungewohnt wenig Wandern hab ich mich vom einsamen Quer-durch-Südschweden-Laufen bestens erholt und werde ab morgen voller Energie meine Tour durch die nördliche Hälfte des Landes beginnen. Ich freue mich, dass ihr in Gedanken wieder mit dabei seid!

Gestern Abend bin ich mit komplett neuer Wanderbereifung, soll heißen neuer Hose und neuen Schuhen, in Stockholm in den Nachtzug eingestiegen und habe heute Nachmittag den kleinen Ort Abisko im äußersten Norden Schwedens erreicht. 

Die Strecke vom Süden bis in die Mitte des Landes, die ich von Anfang März bis Ende Juni gelaufen bin, ist rot markiert. Gelb ist das, was nun beginnt. 

Wie ihr seht laufe ich nicht länger von Süden nach Norden, sondern ab jetzt von Norden nach Süden und damit zurück zu unserem Sommerhäuschen in Mittelschweden, das ich Mitte Oktober erreichen möchte. Grund für meinen Richtungswechsel ist die Tatsache, dass ich dem früh einfallenden Winter nördlich des Polarkreises entgehen und sozusagen zusammen mit den Wildgänsen, die mich auch diesmal gnadenlos überholen werden, dem besseren Wetter entgegen laufen will.

Während der ersten Wochen wandere ich, um möglichst viel von der schönen Landschaft zu sehen, ein bisschen im Zickzack. Danach wird es geradewegs nach Süden gehen. Hier mein Vorhaben für die ersten ungefähr 20 Tage.

Jetzt kommt das Fjäll, so nennt man das schwedische Hochgebirge. Mit dabei der Kebnekaise, der mit 2096 Metern höchste Berg Schwedens, und viele andere nicht ganz so hohe, aber dennoch beeindruckende Gipfel. Auf 68 Grad Nord, wo die Baumgrenze bei deutlich unter 1000 Metern liegt, ist (anders als in den Alpen) auch ein 1500er kein netter bewaldeter Hügel mehr, sondern richtig schroff und felsig.

Da mir nach dem langen Sitzen im Zug dringend nach Bewegung zu Mute ist, unternehme ich einen Spaziergang am Hang des Berges Njullá entlang. Von hier aus bietet sich ein herrlicher Ausblick auf die Landschaft rund um meinen Startpunkt Abisko (Nummer 1 auf der Karte).

Das markante u-förmige Tal in der Ferne heißt Lapporten (Nummer 2). Da möchte ich morgen hindurchwandern. Die Talsohle liegt bei etwa 1000 Metern, die umgebenden Berge sind zwischen 1500 und 1750 Meter hoch. 

Abisko ist eigentlich nur ein Dorf mit etwas über hundert Einwohnern, hat jedoch aufgrund seiner wunderschönen Lage große touristische Bedeutung. In Abisko beginnt der Kungsleden, einer der beliebtesten und berühmtesten Fernwanderwege der Welt. 

Der Weg ist 440 km lang, perfekt markiert und mit einfachen Übernachtungshütten ausgestattet, zum Teil sogar mit Proviantverkauf. Eine wunderschöne Art, das Fjäll zu erkunden, wenn man nicht so viel Gepäck, also weniger Essen und kein Zelt schleppen will. Wer das 360-Grad-Bergpanorama allerdings lieber für sich allein haben möchte, sollte insbesondere in der Hochsaison andere Wege wählen. Da ich den Kungsleden schon recht gut kenne, habe ich mich diesmal für den deutlich einsameren Weg durchs Lapporten entschieden. Selbstverständlich ist auch Bernoscha wieder mit von der Partie. Dem morgigen Tag sieht er gut erholt und mit der üblichen vergnügten Gelassenheit entgegen.

Übrigens hat Abisko nicht nur Berge, sondern auch eine Menge Wasser zu bieten. Es liegt an der Mündung des Abiskojåkka in den See Törneträsk.

Der Fluss hat eine wildrauschende, ohrenbetaubende Strömung...

...und fließt durch ein spektakuläres Canyon. 

Wie ihr euch beim Anblick einer so wilden Landschaft vermutlich schon denken könnt, kommt während der nächsten Wochen nicht allzu viel Zivilisation. Es kann sogar sein, dass ich nicht überall Netz habe. Falls es also mal keinen Blogbeitrag geben sollte, liegt das daran. 

Heute jedoch schlage ich mein Zelt nochmal ganz zivilisiert auf dem kleinen Campingplatz neben der Fjällstation in Abisko auf. 

Auch den Bart habe ich fürs Neustart-Selfie wieder auf zivilisierte Länge gekürzt. 

Der Törnetrask im Hintergrund ist übrigens einer der größten Seen Schwedens und etwa die Hälfte des Jahres, von Dezember bis Anfang Juni, mit Eis bedeckt. Wenn man kalte Temperaturen in Kauf nimmt, kann man hier im Herbst und Winter prima Nordlicht beobachten. Aktuell allerdings ist eher die richtige Jahreszeit für die Mitternachtssonne. Noch für etwa eine Woche werde ich ununterbrochen Tageslicht haben, das heißt, die Sonne sinkt nur bis knapp über den nördlichen Horizont und steigt, bevor sie verschwindet, schon wieder in Richtung Osten auf. 

Jetzt werde ich versuchen, trotz Sonnenlicht noch ein wenig zu schlafen. Morgen früh geht's los Schritt für Schritt und ganz langsam in Richtung Süden.