Tag 120: Ein Hauch von Wellness

Morgens beim Zusammenpacken ist immer noch alles nass. Ein bisschen Sonne würde jetzt nicht schaden.

Zum Glück muss ich gar nicht so lange darauf warten. Nachdem ich alles im Rucksack verstaut habe und nur noch schnell die Wasserflasche im Bach neben meinem Schlafplatz auffüllen will, zeigen sich in der Wolkendecke bereits die ersten Löcher.

Unterwegs reißt der Himmel schon bald endgültig auf und die Berggipfel enthüllen sich.

Zusätzlich bekomme ich für ein paar Kilometer eine Schotterpiste unter die Sohlen. Dadurch komme ich ungewohnt mühelos voran und meine Schuhe können, da sie nicht dauernd über Schneefelder, Bachläufe oder Sumpf laufen müssen, endlich ein bisschen trocknen. Wellness für die Füße!

Sieht natürlich nicht ganz so schön aus wie auf den Bergpfaden, ist aber genauso einsam, denn die Straße führt nur zu einem Staudamm und endet dort. Hier wohnt niemand und mir begegnet kein einziges Auto. 

Nach einer Weile zweigt der Wanderweg wieder ins Fjäll ab und ich laufe auf neue, weißgefleckte Berge zu, die ganz schön groß und unwirtlich aussehen. Doch erstmal geht es über bunte Wiesen und alles wirkt sommerlich freundlich - Löwenzahn, Trollblumen und dazwischen sogar ein Schmetterling. 

Die Berge spiegeln sich in einem klaren See und noch ist von der kargen, steinigen Welt dort oben nicht viel zu ahnen. 

Doch mit jedem Schritt höher hinauf wird es schroffer und schließlich hat die Landschaft ihr Gesicht komplett gewandelt.

Ich setze mich auf einen Felsen und genieße den weiten Blick.

Zwar hat sich der Himmel wieder etwas bezogen, aber zum Schuhe trocknen hat's gereicht und für das Handtuch, das da an meinem Rucksack baumelt, ebenfalls. Ja, manchmal wird mein Rucksack auch zum Wäscheständer. Außerdem ist er Kleiderschrank, Vorratskammer, Kofferraum, Rückenlehne, wenn ich irgendwo Pause mache, und natürlich dient er als Fortbewegungseinheit für Bernoscha.

Zwar ist Bernoscha bemüht, möglichst viel Strecke selbstständig zurückzulegen, doch stellt felsiges Terrain für Bauchläufer (und als solchen muss man Bernoscha ganz offensichtlich bezeichnen) eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar.

Selbst ich auf meinen zwei Füßen habe trotz der Wellness-Einlage von vorhin hier und da zu kämpfen.

Manchmal lasse ich mich am Beginn irgendeines Schneefeldes einfach kurz fallen, lehne mich gegen meine Rucksack-Rückenlehne und denke nur: "Oh nee, bitte nicht noch eins." 

Doch da es schnell kalt wird am Hintern, stehe ich rasch wieder auf und stapfe in Ermangelung von Alternativen einfach weiter.

Das klingt jetzt alles nach ziemlicher Quälerei. Und ja, manchmal ist es das vielleicht auch, denn gemütlich ist diese Landschaft definitiv nicht. Aber trotzdem ist sie auf eine kühle und abweisende Art wunderschön und absolut sehenswert. Auch wenn mich diese eisige Welt hier oben nicht gerade willkommen heißt, so werde ich doch immer wieder durch herrliche Eindrücke für all die Anstrengungen belohnt. Und sobald die Sonne rauskommt, leuchten Schnee und Seen genauso blau-weiß wie der Himmel, so dass man manchmal kaum noch weiß, wo oben und unten ist.

Trotzdem ist es schön und irgendwie auch beruhigend, nach einer Weile wieder abzusteigen und mehr Wiesengrün um sich zu haben.

Die Nachmittagssonnesonne scheint so hell und warm, dass ich einen langen Schatten werfe und einen halben Bach leer trinke.

Gegen Abend geht es noch ein Stück tiefer hinab.

Das Wasser plätschert über eine Steile Kante der sinkenden Sonne entgegen.

Ich kraxele sehr viel mühevoller abwärts.

Unten lande ich genau wie heute morgen auf einer Schotterpiste. Schon wieder Wellness für die Füße! Ich werde verwöhnt. Nur die Sonne ist jetzt hinterm Berg verschwunden. 

Nach wenigen Schritten bin ich zurück in Schweden.

Laut Karte wechsele ich innerhalb der nächsten zwei Stunden mehrfach das Land, aber weitere Schilder gibt es nicht. Scheint egal zu sein, denn hier wohnt ja niemand. Auch diese Straße führt im wesentlichen zu einem Staudamm. Doch ist der Weg deutlich länger und wird mich auch morgen noch beschäftigen.

Mein Schlafplatz liegt an einem See.

Laut Karte bin ich in Schweden, doch kaum 100 Meter von der norwegischen Grenze entfernt, die genau durch den See verläuft. Ich weiß also gar nicht so genau, ob es schwedisches oder norwegisches Wasser ist, das ich gerade trinke.