Tag 132: Lappland - unendliche Weiten

Der Tanz der Schonwetterwölckchen geht weiter. Schon morgens scheint die Sonne kräftig und warm.

Ich schaue den Pfad zurück nach Norden. 

Vor nur wenigen Tagen war ich so tropfnass, dass ich mir kaum vorstellen konnte, jemals wieder richtig trocken zu werden. Das war irgendwo dahinten zwischen den Bergen - beinah noch in greifbarer Nähe und doch unendlich weit entfernt von diesem sommerlichen Grün unter meinen Füßen.

Der Himmel sieht heute aus wie gemalt. 

Die Wolken erzeugen eine beeindruckende Perspektive in die Ferne, fast als wollte ein unsichtbarer Künstler erreichen, dass man die schwindelerregende Weite der Landschaft am ganzen Körper spüren kann.

Zwar laufe ich auf die eine oder andere schroffe Bergwand zu und manchmal nahe daran entlang...

...doch im Kontrast zu einer solchen unüberwindlichen Mauer wird die Grenzenlosigkeit direkt daneben nur noch besser erfahrbar.

Wenn Berge einzeln stehend aus einer flachen Landschaft aufragen, wirken sie viel individueller geformt als die unzähligen Gipfelzacken einer Hochgebirgskette.

Manchmal sehen sie beinah lebendig aus, wie Riesen, die sich auf der Wiese ausgestreckt haben, um ein Sonnenbad zu nehmen. Und genau wie gestern bekomme ich ein bisschen Zwergen-Feeling.

Natürlich habe ich nicht den ganzen Tag über einen so weiten Blick. Es geht von Anhöhe zu Anhöhe und dazwischen muss ich durch sumpfigen Wald.

Das kann manchmal eintönig wirken, doch gibt es auch hier eine Menge zu entdecken. Den sommerlichen Duft von Kiefern und Heidekraut zum Beispiel.

Oder eine Eidechse.

Oder Pilze - auf dem Boden, an Bäumen, krumm oder gerade und in allen möglichen Farben...

...und manchmal riesengroß. Bernoscha erklärt sich netterweise bereit, kurz auf einem dieser gigantischen Exemplare Platz zu nehmen, um die beachtlichen Dimensionen zu verdeutlichen. (Übrigens hat Bernoscha ungefähr die Ausmaße einer Zitrone, auch wenn er diesen Vergleich immer etwas respektlos findet.)

Dass hier neben all der Sommerlichkeit bereits die Herbstvorboten aus dem Boden schießen, ist nichts Ungewöhnliches. In einer Gegend die innerhalb von wenigen Monaten von Sonne nonstop zu ständiger Dunkelheit wechselt, müssen auch die Jahreszeiten etwas dynamischer und schneller ineinander übergehen. Die Sami übrigens schieben zur Beschreibung dieser raschen Veränderungen zwischen Frühling, Sommer, Herbst und Winter noch jeweils eine Übergangsstufe ein und kennen damit nicht nur vier, sondern insgesamt acht Jahreszeiten.

Es geht auf und ab zwischen den Tälern mit ihren Seen, Flüssen und Wäldern auf der einen und der Aussicht von jenseits der Baumgrenze auf der anderen Seite, von der aus alles das, was da unten so anstrengend zu durchqueren war, winzig klein erscheint.

Als Anstrengung für morgen stehen erstmal ein paar Felsen auf dem Programm. Das jedenfalls vermute ich, wenn ich mir die Gegend rund um mein Zelt so anschaue.

Doch auch diese Felsen werde ich irgendwann von oben betrachten und dann werden sie nur noch wie Kieselsteine aussehen.