Tag 135: Birkenwald und bunter Teppich

Als ich aufwache scheint mir die Sonne durchs Hüttenfenster mitten ins Gesicht. Zuerst fehlt mir, noch schlaftrunken, ein bisschen die Orientierung. Warum bin ich nicht in meinem Zelt? Doch beim Anblick meines gesamten Krempels rings um mich herum - auf dem Boden, auf Tischen, Stühlen, Fensterbrettern zum Trocknen ausgebreitet - fällt mir alles wieder ein. Ich rappele mich auf, ziehe mich an und packe zusammen. Ganz leise, denn Walter scheint noch zu schlafen. Erst als ich frühstücke, wacht er auf und setzt sich zu mir. Er habe keine Lust weiterzugehen, meint er nach einem kurzen Blick nach draußen, und werde noch bis morgen in der Hütte bleiben. Ich hab Lust. Die paar Sonnenstrahlen reichen mir als Motivation. Zwar ist es immer noch kalt, aber viel weniger windig als gestern. Wir verabschieden uns, und kaum unterwegs, bin ich auch schon super dankbar, losgegangen zu sein.

Das Fjäll leuchtet in den schönsten Herbstfarben und rollt mir zur Begrüßung sozusagen einen bunten Teppich aus.  

Heute läuft es sich ganz leicht und unbeschwert. Sturm und Gewitter sind vergessen.

Ich mache noch einen kurzen Umweg zu der Stelle, wo gestern mein Zelt stand oder vielmehr fast wegflog, denn beim hastigen Zusammenpacken habe ich einen Hering verloren. Ich muss gar nicht lange suchen, um ihn zu finden. Er liegt völlig unübersehbar zwischen den Blaubeeren. Ist mir gestern trotzdem irgendwie entgangen. Denn je stärker es regnet, desto schlechter sehe ich (die Brillenträger unter euch werden wissen, was ich meine).

Ich interpretiere den wiedergefundenen Hering einfach mal als gutes Omen für den Tag. Und siehe da, kaum eine halbe Stunde später ziehen die letzten grauen Wolken ab und die Sonne kommt raus.

Ich lasse das "Bunte-Teppich-Level" hinter mir und gelange in den Pieljekaise Nationalpark, der nicht so sehr aus hohen Bergen, sondern im Wesentlichen aus einer urig-unordentlichen Birkenwald-Wildnis besteht.

Die Sonne scheint durch die Zweige, ein warmer Wind rauscht in den Baumkronen und obwohl hier und da schon ein bisschen gelbes Laub auf dem Boden liegt, wirkt im Gegensatz zum bunten Teppich alles noch recht sommerlich. 

Doch nicht die ganze Zeit wandert man im Dickicht. An vielen Stellen, insbesondere an Seen und Sümpfen, bietet sich ein weiter Blick.

Überall strömt und rauscht es. Der Wald ist von unzähligen Wasserläufen durchzogen, an denen entlang sich die Landschaft immer wieder schneisenartig öffnet.

Jenseits des Nationalparks erreicht man den kleinen Ort Adolfström, eine Hand voll roter Holzhäuschen am Ufer eines Sees.

Dieses eine habe ich fotografiert und zwar, weil sich darin ein wirklich kurioser, kleiner Laden befindet. Im Wesentlichen gibt es Lebensmittel und Souvenirs. Alles ist von oben bis unten vollgestopft mit irgendwelchem Dekokrempel und sogar an der Decke hängen Bilder.

Ich beschließe, dass halb drei genau die richtige Zeit für ein Stück Kuchen ist und dass ich außerdem die sommerliche Stimmung dringend nutzen sollte, um ein Eis zu essen. Was man wirklich lernt auf so einer Wanderung ist, den Augenblick zu genießen. Vielleicht nicht jeden, aber viele. Diesen hier zum Beispiel.

Hinter Adolfström geht es auf holprigen Pfaden am Ufer einer Seenkette entlang.

Jede Menge Kiefern und einige Pappeln mischen sich unter die Birken.

Wenn man aufmerksam auf den Boden guckt, dann wird es auch hier schon ein wenig bunt.

Aber noch bringt die Nachmittagssonne das Wasser zum Glitzern...

...die Heide blüht...

...und mein Zelt ist von dichtem Grün umgeben.

Ein idyllisches, ruhiges Plätzchen! Könnte von der Atmosphäre her schon fast wieder Mittelschweden sein. Der Wind ist inzwischen deutlich abgeflaut. Hier und da zwitschert ein Vogel. Sonst ist es ganz still zwischen den Bäumen und ich bin mir sicher, dass ich heute Nacht nicht nochmal umziehen muss.