Tag 138: Potatisbacken

Der Tag beginnt vielversprechend mit blauen Löchern am Himmel und einem bequemen Schotterweg unter meinen Füßen.

Das Ganze mit Aussicht auf einen Supermarkt im gar nicht so weit entfernten Örtchen Ammarnäs. Kurz vorher bildet der Vindelälv neben mir noch einen wild tosenden Wasserfall...

...dann ist es endlich soweit und ich habe wieder Zivilisation unter den Füßen. Gleich am Ortseingang stoße ich auf Potatisbacken, die Hauptsehenswürdigkeit in Ammarnäs.

Potatisbacken bedeutet "der Kartoffelhügel" und das Grünzeug, das ihr da seht, sind tatsächlich Kartoffelpflanzen. Der Hügel ist optimal zur Sonne ausgerichtet, so dass sich der sehr fruchtbare Boden gut erwärmen kann und vor schädlichem Frost geschützt ist. Potatisbacken gilt als kleines botanisches Wunder, denn normalerweise wachsen so hoch im Norden keine Kartoffeln.

Es gibt auch einen Spazierweg hinauf, so dass man die Kartoffelpflanzen von oben betrachten und dabei eine schöne Aussicht über Ammarnäs und die Delta-Landschaft am Zusammenfluss des Vindelälv mit dem Tjulån genießen kann.

Allerdings ist Potatisbacken im Verhältnis zu den umgebenden Bergen nur eine winzige Anhöhe. Das heißt, obwohl ich von hier aus weit gucken kann, bin ich landschaftlich gesehen gerade ziemlich weit unten und werde nachher nochmal ordentlich bergauf müssen. Aber vorher gehe ich in den Supermarkt, um mich ordentlich sattzuessen. So nahe am Potatisbacken muss es natürlich ein Potatissallad sein, zumindest unter anderem, denn ich habe genug Hunger, um noch ein paar weitere "Kleinigkeiten" zu verdrücken.

Der südlichste Abschnitt des nördlichen Kungsleden, der hier beginnt, ist wieder etwas bekannter und wird deutlich mehr begangen als das Stück, das ich gerade hinter mir habe. In Ammarnäs sind also einige Leute mit großen Rücksäcken unterwegs und der kleine Supermarkt ist voll und ganz auf Wanderer eingestellt. Vor dem Laden gibt es eine überdachte Sitzecke sogar mit Steckdosen, um das Handy zu laden. Das ist echt ein großartiger Service!

Ich beginne meine Bergetappe frisch gestärkt und komplett aufgeladen, wofür ich sehr dankbar bin, denn etwa zwölf Kilometer fast ausschließlich bergauf zu gehen, ist wirklich anstrengend. Insgesamt sind es 700 Höhenmeter, die ich bewältigen muss. Die Reihenfolge ist immer dieselbe: Zuerst Birkenwalddickicht...

...nach einer Weile wieder mehr Himmel zwischen den Baumkronen...

...und schließlich erste Anflüge von Aussicht.

Besonderes Highlight bei diesem Aufstieg ist ein wirklich spektakulärer Wasserfall.

Der Fluss Ruovdatjjuhka stürzt sich in eine tiefe, enge Schlucht hinab und tost mit ohrenbetäubender Lautstärke nach Ammarnäs hinunter.

Der Anblick ist wirklich schwindelerregend!

Nach und nach gelange ich immer höher über Ammarnäs hinaus. Erst ist das Tal vor allem über Baumwipfel hinweg zu sehen, dann schieben sich Felsen in den Blick.

Die Wolken sinken tiefer und es beginnt zu Nieseln.

Vor mir tauchen neue Berge auf...

...und ich stehe wieder auf dem bunten Teppich.

An dieser Bergwand muss ich noch links vorbeikraxeln...

...dann bin ich endlich auf etwa 1100 Metern und der Bergauf-Part ist geschafft.

Leider ist es nicht immer so, dass die Sicht besser wird, je höher man kommt. Heute ist eher das Gegenteil der Fall.

Hier und da erkennt man noch schemenhaft eine von Pflanzen bewachsene Landschaft...

...und manchmal gibt es nur noch Felsen. Den Rest der Welt hat der Nebel völlig verschluckt.

Die in der Sonne blitzenden Bergseen und den weiten Blick auf immer noch mehr Gipfel in der Ferne muss ich eurer Phantasie überlassen. Aber ich denke, ihr kriegt das hin. Ich hab's auch geschafft und mir ist dabei sogar ein bisschen warm geworden.

Im anhaltenden Nieselregen baue ich mein Zelt auf und übe mich weiter tapfer in Gelassenheit, obwohl ich eine kleine Trainingspause allmählich wirklich gut gebrauchen könnte. Eigentlich ist für heute Abend Sonne angesagt. Doch es ist bereits 19 Uhr. Naja, die Hoffnung stirbt zuletzt und manchmal überlebt sie sogar, so wie diesmal. Denn tatsächlich bekommt meine Phantasie etwa eine Stunde später beim Imaginieren der herrlichen Aussicht zumindest ein wenig Hilfestellung.

Da hänge ich doch gleich mal die nasse Jacke raus. Eine Überdosis Optimismus ist auf so einer Tour einfach überlebenswichtig. Zwar fängt es nach ein paar Minuten wieder an zu tröpfeln, doch vielleicht hat ja der Wind ein paar Milliliter weggetrocknet. Zumindest kommt es mir, als ich die Klamotten reinhole und den Reißverschluss meines kleinen Häuschens für heute endgültig zuziehe, ein bisschen so vor. Während der Regen auf die Plane prasselt, denke ich darüber nach, was ich heute so alles erlebt habe und durch was für unterschiedliche Gegenden ich gewandert bin - vom Kartoffelacker, der jetzt gut gewässert sein dürfte, bis hinauf in ein Felsenmeer. Und wer weiß, vielleicht wache ich ja morgen früh mit Sonne im Gesicht und genau dem Ausblick auf, den man hier oben eigentlich haben sollte. Immerhin bin ich bereits in der Kartoffelzone angelangt, da kann die erste Palme ja eigentlich nicht mehr weit sein.