Tag 141: Zivilisation am Ende des Tals

Es verspricht ein sonniger Tag zu werden im Tal hinter meinem Zelt, durch das ich heute bis in den kleinen Ort Hemavan wandern werde.

Einige hundert Meter entfernt liegt ein Rentier gemütlich auf der Wiese. Ich kringel es mal ein, für den Fall, dass es nicht so gut zu erkennen ist.

Vermutlich hat es dort geschlafen. Irgendwie faszinierend und auch bewundernswert, wie diese Tiere in einer so unwirtlichen Umgebung mit nichts als sich selbst zurechtkommen. Wenn ich mir überlege, was ich alles brauche, um eine Nacht im Fjäll unbeschadet zu verbringen: warme Klamotten, Daunenschlafsack, Isomatte, Zelt, Proviant, Campingkocher und natürlich den großen Rucksack, damit ich das alles tragen kann, meine Schuhe, damit ich überhaupt laufen kann, möglichst noch Regenzeug und wasserdichte Packsäcke, damit nichts nass wird, und, und und... Außerdem natürlich in regelmäßigen Abständen Supermarkt, Dusche, Steckdose, Waschmaschine... Und das alles ist ja noch verhältnismäßig bescheiden gemessen an dem, worauf ich angewiesen bin, um meinen ganz normalen Alltag zu bestreiten, also wenn ich nicht gerade wandern bin. Was man da alles beansprucht, ist so viel, dass ich es hier wohl kaum aufzählen kann, aber ich denke, ihr kennt die unersättliche Liste genauso gut wie ich. Doch langer Rede kurzer Sinn: Ich bin ein Mensch und deshalb will und muss ich heute nach Hemavan.

Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so aussieht, dieser Pfad führt wirklich in die Zivilisation.

Hohe Berge zu beiden Seiten...

...dazwischen rauscht ein Fluss...

...der nach und nach immer breiter wird.

Die Morgensonne verzieht sich rasch und unterwegs ist es trotz Blümchen eher schattig.

Am Ende der Etappe windet sich der Pfad die Bergwand hinauf, so dass man nicht im, sondern über dem Tal wandert.

Die Bäche, die ich nun überquere strömen bereits nach Hemavan hinunter, das sich lange irgendwo da unten versteckt hält.

Doch 20 Kilometer und 250 Gramm Fußball-WM- Erdnüsse später ist es endlich so weit: Die Zivilisation wird sichtbar.

Genau wie das Rentier von heute morgen kringel ich Hemavan vorsichtshalber lieber ein, falls ihr es nicht so gut erkennen könnt.

Enttäuscht? Also ich nicht, aber das mag am Grad der Entwöhntheit liegen, den ich mittlerweile erreicht habe.

Noch ein kleines Stückchen bergab durch den Birkenwald (hattet ihr vermutlich schon geahnt), dann erlebe ich Hemavan live und in Farbe.

Heute stelle ich mein kleines rotes Häuschen mal vor einem großen roten Häuschen auf. Das ist die Fjällstation. Im Garten darf man zelten und drinnen gibt es alles, was man braucht. Auch wenn mir heute morgen Zweifel kamen, spätestens unter der heißersehnten warmen Dusche bin ich dann doch froh, ein Mensch zu sein und fühle mich anschließend auch endlich wieder als solcher.