Tag 143: Fika und Elch

Vor der Fjällstation gibt es eine Rucksackwaage und nach einigem Zögern traue ich mich, meinen Krempel da mal dranzuhängen. Vielleicht glaubt ihr mir nicht, aber es ist wirklich wahr, dass ich in all den Jahren Langstreckenwandern noch nie zuvor meinen Rucksack gewogen habe. Hat mich nie interessiert, wie viel ich durch die Gegend trage. Wenn ich gefragt wurde, habe ich meist irgendwas um die 15 kg behauptet. Doch offenbar habe ich mich verschätzt.

Allerdings ist da im Moment Essen für sechs Tage drin (insgesamt etwa 4kg) und ein vom Morgentau noch nasses Zelt (auch nochmal +1kg). Wenn ich das abziehe, dann lande ich ja fast bei meinen 15kg Traumgewicht. Man muss sich die Dinge nur ein bisschen milchmädchenmäßig schönrechnen. Naja, und wer der eigentliche Verursacher ist, das ist ja sowieso sonnenklar, auch wenn er verschmitzt zur Seite guckt, als ob ihn das alles nichts anginge:

Aber gut, manchmal läuft Bernoscha ja auch selbst. Und falls nicht, dann tut das auch nichts zur Sache, denn seine Anwesenheit als Glücksbringer und Reisegefährte ist absolut essentiell und nicht verhandelbar.

Also wuchte ich mir meinen Kofferraum wieder auf den Rücken und trabe die Hauptstraße hinunter raus aus Hemavan, zum Glück mit deutlich mehr Sonne als gestern.

Heute ist ein bisschen Straße angesagt, aber man soll nicht meinen, dass es deshalb nichts zu sehen gäbe. Der Blick auf den Umeälv zum Beispiel ist wirklich schön.

Verkehr ist nicht das Problem. Ein paar Norweger auf dem Weg zum Supermarkt und manchmal ein Holztransporter, das ist alles. Ach ja und in den Parkbuchten am Straßenrand stehen hier und da Autos. Meistens kriechen nicht weit entfernt Leute mit Körben auf dem Boden herum. Beeren- und Pilzesammeln ist in Schweden Volkssport. Und natürlich muss man dabei unbedingt die eine oder andere Fika machen. Das bedeutet etwa so viel wie Kaffeepause und gehört als sozial-kommunikatives Element ganz wesentlich zur schwedischen Alltagskultur - natürlich nicht nur beim Beeren- und Pilzesammeln, aber eben auch. Schweden hat den weltweit höchsten Kaffeeverbrauch pro Kopf und eine Fika geht immer, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Warum erzähle ich das alles? Weil ich heute gleich zweimal zu einer Fika am Straßenrand eingeladen wurde. Heißer Kaffee aus der Thermoskanne, dazu frische Blaubeeren und einmal sogar selbst gebackene Waffeln. Ich denke, ich werde ab jetzt nur noch Straße laufen.

Naja, meine Füße freuen sich schon ein bisschen, als der Asphalt endlich in etwas weicheren Schotter übergeht. Zwar bekomme ich hier keine Waffeln mehr, doch dafür sehe ich einen Elch. Er kommt geradewegs aus dem Wald gelaufen...

...und rennt für einige Sekunden in vollem Galopp genau auf mich zu. Ich bin ziemlich perplex und auch etwas erschrocken. Bei diesem Elchtest würde ich trotz der knapp 80kg, die ich samt Bernoscha und Rucksack auf die Waage bringe, wohl eher den kürzeren ziehen. Insofern bin ich ziemlich erleichtert, als der Elch abrupt abbremst, zurück in den Wald läuft und auch sofort wieder darin verschwunden ist. Das Handy zum Fotografieren zücke ich leider viel zu spät.

Gegen Nachmittag wird es immer sonniger und irgendwann laufe ich sogar im T-Shirt.

Gemütlich schlängelt sich mein Weg durch den Birkenwald.

Ich habe reichlich Kaffee, Waffeln und Blaubeeren im Bauch und fühle mich ziemlich sorglos.

Als die Sonne schon recht tief steht, taucht neben mir der See Stor-Björkvattnet auf.

In Ufernähe stehen ein paar rote Holzhäuschen, dazwischen Wiesen und Weiden.

Schließlich lasse ich das letzte Dorf hinter mir und laufe auf einem wirklich einsamen Schotterweg in den Abend hinein. Gerade denke ich, dass es allmählich Zeit wird für einen Schlafplatz, als neben mir zwischen den Baumstämmen wieder der See hindurchschimmert.

Da muss ich natürlich nicht lange überlegen: Das ist mein Platz für heute Nacht. 

Für so ein Schlafzimmer trage ich gern den ganzen Tag über 20 kg durch die Gegend. Und wer weiß, vielleicht war die Waage ja kaputt, denn so viel kommt es mir wirklich nicht vor. 

Meinen neuen Schuhen und alten Füßen geht es jedenfalls gut!

Und mir auch!