Tag 144: 21:04 für Bach!

Spät abends geht Saturn über den Baumwipfeln auf und spiegelt sich im See. Außerdem stehen seit langer Zeit mal wieder Sterne am Himmel. Mittsommer ist inzwischen zwei Monate her und das kann man deutlich spüren. Es wird dunkler.

Doch noch ist die Sonne morgens ziemlich früh zurück. Heute anfangs mit etwas Nebel, aber das ist eher ein gutes Zeichen, denn es deutet darauf hin, dass das Wetter den ganzen Tag über stabil schön bleibt.

Tatsächlich steht die Sonne, als ich aufbreche, schon hoch am Himmel und wärmt ordentlich.

Für einen Sonnenbrand reicht es zwar nicht mehr, aber für einen ganzen Tag im T-Shirt sehr wohl. Genau die richtige Temperatur zum Wandern!

Weiterhin bin ich überwiegend auf Schotterpisten unterwegs.

Ich überlege, ob ich nicht zum Zeitvertreib die Autos zählen könnte, die mir begegnen, muss jedoch feststellen, dass das nicht allzu spannend ist. Denn lange kommt kein einziges vorbei. 

Als ich gerade anfange, mich zu fragen, ob ich überhaupt über die Null hinauskommen werde und falls nicht, ob das dann überhaupt schon als Zählen gilt, da höre ich vor mir ein untergründiges Grummeln. Bestimmt kommt gleich was um die Kurve...

...das Geräusch wird lauter, einen Moment lang denke ich noch Auto, vielleicht sogar Holztransport, denn es klingt irgendwie schwer, doch wenig später wird mir klar, dass ich völlig daneben liege. Das ist nicht nur Grummeln, da ist auch Plätschern mit drin. Das muss ganz einfach ein Bach sein, nur eben ein ziemlich lauter. Und da ist er auch schon.

Wenn dicke Steine auf dem Grund liegen, an denen die starke Strömung ein wenig rüttelt, kann das wirklich wie Auto klingen, manchmal sogar wie Lastwagen oder Straßenbahn. Da falle ich nicht zum ersten Mal drauf rein. Nur ist mir auf einem einsamen Wanderweg mitten im Fjäll, anders als hier, natürlich sofort klar, dass ich mich irre. Scheinbar ist Motorenlärm in meinem Hirn noch immer als das naheliegendere Geräusch abgespeichert. Ich bin der Großstadt also noch nicht völlig entwöhnt und es besteht Hoffnung, dass ich Ende Oktober zurück in Berlin nicht gleich beim Überqueren der erstbesten Straße plattgefahren werde. Doch im Augenblick erscheint mir jede Form von Stadt maximal weit weg. Ich denke, in meiner aktuellen Situation ist es deutlich abendfüllender Bäche statt Autos zu zählen oder ich zähle einfach beides. Mal sehen, wovon es auf den heutigen etwa 35 Kilometern Schotterweg mehr gibt. 

Wer das Rennen macht, ist ziemlich schnell klar.  Kein sehr spannendes Match. Ein Bach folgt dem nächsten, insgesamt 21 in allen Größen und Lautstärken. 

Zwar kommen im Laufe des Tages auch noch einige wenige Autos vorbei, aber sie lassen sich buchstäblich an einer Hand abzählen. Es sind vier. 21:04 für Bach! Ein mehr als eindeutiges Ergebnis. Der Tag besteht zu beinah 100% aus Vogelgesang, Insektensurren, Wasserrauschen, dem Geräusch meiner Schritte und ab und zu einer Pause mit Nüssen und Kakao.

Abends endet der Schotterweg und ich erreiche wieder einen sumpfig matschigen Pfad, der mich auch morgen begleiten wird...

...so dass ich die neuen Schuhe endlich mal richtig einweihen kann.

Doch für heute ist am Ufer des Sees Virisen erstmal Schluss. Es ist schon ganz schön spät und ich bin k.o. vom vielen Zählen. Also werde ich hier mein Nachtlager aufschlagen.

Nur wo? Eigentlich findet man an Seen meist sehr gute Plätze. So wie gestern, da lag das herrlichste Schlafzimmer, das man sich nur vorstellen kann, einfach so am Weg, ohne dass ich auch nur eine Minute danach suchen musste. Heute habe ich etwas mehr Mühe, denn das Ufer des Virisen ist waldig, uneben und voller großer Steine.

Ich bin sehr froh, als ich schließlich einen Felsen finde, der so groß ist, dass ich mein Zelt einfach oben drauf stellen kann so wie auf einen riesigen Tisch. Der Boden ist sogar von weichem Moos bedeckt, eine prima Matratze.

Wenn mein rotes Häuschen heute ein bisschen rumpelwichtig und windschief aussieht, liegt das daran, dass man hier keine Heringe in den Boden kriegt. Aber das macht nichts, denn es wird die Nacht über trocken und windstill bleiben.