Tag 154: Ein permanenter Regenbogen

Nachts gibt's wieder Nordlicht, und zwar deutlich kräftiger als neulich.

Nordlicht steht übrigens nicht still, sondern bewegt sich am Himmel etwa so wie ziehende Wolken, nur etwas schneller. Dabei wechselt es in rascher Folge die Gestalt und manchmal entstehen ziemlich unheimliche Figuren.

Um Nordlichter ranken sich viele Mythen. Die Wikinger betrachteten sie als Manifestion ihrer Götter. In der samischen Religion gelten sie als die Seelen der Toten am Himmel. Bis heute haben manche Sami großen Respekt vor dem Phänomen und glauben, dass es Unglück bringt, zu lange in die Lichter hineinzugucken. 

Ich finde, Nordlicht sorgt für eine ungeheuer spannende und sehr besondere Atmosphäre. Morgens bin ich jedes Mal aufs Neue erstaunt, dass die Welt wieder völlig normal aussieht. So auch der See hinter den Bäumen neben meinem Zelt. Wo nachts die grünen Flammen über den Himmel tanzten, ist jetzt alles ganz still und harmlos.

Nachdem ich Gäddede und den Campingplatz verlassen habe, stehe ich schon bald wieder auf einem Schotterweg zurück ins Fjäll, den See tief unter mir.

Eine ganze Weile laufe ich daran entlang, immer wieder mit schöner Aussicht über grüne Wiesen und zwischen den Bäumen hindurch auf das blaue Wasser.

Pünktlich zur Mittagspause führt der Weg noch einmal ganz nahe ans Ufer heran, so dass ich auf dem Kiesstrand einen richtig schönen Platz zum Ausruhen finde.

Auf der heutigen Etappe scheint die Sonne immer wieder kräftig und warm zwischen den Wolken hindurch. Manchmal wirkt die Welt noch beinah sommerlich.

Einzig die verblühten Lupinen und Weidenröschen überall auf den Böschungen sind ein bisschen verräterisch.

Nachmittags durchquere ich ein Dorf. Hier weiden Schafe und am Straßenrand sind Heuballen aufgestapelt. 

Es riecht nach Landwirtschaft, und tatsächlich genieße ich diesen vertrauten Geruch. So gern ich die wilde und karge Natur des ganz hohen Nordens mag, es ist trotzdem schön und irgendwie beruhigend, wieder etwas weniger unwirtliche Gegenden erreicht zu haben.

Doch keine Sorge, ich poste jetzt nicht plötzlich nur noch Bilder von Kühen und Stoppelfeldern. Kulturland kommt hier nur sehr vereinzelt vor und dazwischen ist Platz für reichlich Fjäll. Jenseits des Dorfes führt der Weg also erstmal wieder tiefer in die Berge hinein.

Unterwegs komme ich am Hällingsåfallet vorbei - ein Wasserfall, der sich 43 Meter tief in den mächtigsten Canyon Skandinavians hinabstützt.

Dabei spritzt das Wasser so hoch auf, dass hier andauernd unzählige Tropfen in der Luft hängen und, sofern die Sonne scheint, über der Schlucht ein immerwährender Regenbogen steht.

Eine Brücke führt über das fallende Wasser hinweg.

Zur einen Seite blickt man tief in den Canyon hinunter. Zur anderen sieht man den Fluss heranströmen.

Hinter dem Wasserfall geht es nur noch zu Fuß weiter. Die Schotterwege werden kleiner... 

...und kleiner...

...und schließlich ist bloß ein schmaler Pfad übrig. 

Mein Schlafplatz liegt heute auf einer Lichtung zwischen Birken und Fichten.

Morgen werde ich die Baumgrenze hinter mir lassen und ganz sicher nicht in einem Wald schlafen. Grund genug, heute in der Abenddämmerung noch eine Weile aus dem Zelt zu gucken und mich über die vielen, noch grünen Blätter zu freuen.