Tag 155: Himmel und Erde

Wald und Sumpf fühlen sich heute morgen um einiges herbstlicher an als gestern. 

Wahrscheinlich wegen des trüben Lichts und der feuchten Kälte.

Erst gegen Mittag wird der Himmel ein wenig heller.

Mein Weg ist jetzt kein Pfad mehr, sondern eine etwas breitere Rumpelpiste hinauf aufs Hotagsfjäll. Dort oben haben die Sami ein paar Hütten und Koten, um sich um ihre Rentiere zu kümmern. Rauf und runter fahren sie mit dem Quad. 

Begegnet ist mir allerdings keins. Schade eigentlich, denn ich hätte wirklich gerne gesehen, wie man hier schnell fährt.

"Kör sakta" bedeutet "Fahr langsam". Ich muss sehr lachen, als ich dieses absurde Schild sehe, und zwar gleich zweimal.

Ein paar Sonnenstrahlen dringen durch die Wolkendecke.

Während einer Trink- und Verschnaufpause an einem Bach bereite ich mich mental auf einen ordentlichen Anstieg vor, für den ich eine Weile brauchen werde, und zwar nicht allein der Schilder wegen.

Als ich schließlich die Baumgrenze erreiche, ist es wieder kühl und grau. Macht nichts, ich schwitze trotzdem.

Und im Übrigen dauert es nicht lange, bis die Bewölkung endgültig auflockert und die Landschaft mit einem warmen Leuchten überzieht.

Der Himmel spiegelt sich, wo immer er kann...

...selbst in der kleinsten Wasserpfütze...

...und auch noch als die Sonne schon ziemlich tief steht.

Schroffe Gipfel gibt es auf dem Hotagsfjäll nicht. Man wandert eher wie über eine Art leicht hüglige, baumlose Ebene. Höhere Berge sind weit weg am Horizont sichtbar.

Felsen ragen nur vereinzelt aus der Erde hervor. Meistens ist der Boden weich und von einem dichten Pflanzenteppich überwuchert, der zu dieser Jahreszeit an manchen Stellen aussieht wie ein Regenbogen mit einem breiten Spektrum aus Rot-, Gelb- und Grüntönen...

...und wenn man genau hinguckt, ist sogar Blau dabei.

Ich mag das Hotagsfjäll wahnsinnig gern. Es kommt mir vor wie die vollendete Reduktion aufs absolut Wesentliche: Man wandert zwischen Himmel und Erde, denn mehr gibt es hier nicht. 

Alles was war und alles was kommt, erscheint auf beruhigende Weise aufgelöst in der immer gleichbleibenden Weite der Landschaft. Ich denke über nichts mehr nach, ich bin einfach nur da.

Im Licht der Abendsonne erreiche ich einen Fluss.

Das Ufer bietet gute Plätze für ein Nachtlager. Müdigkeit und Hunger existieren bei aller Enstpanntheit und Konzentration auf den Augenblick natürlich auch auf dem Hotagsfjäll.

Nach einer neuen Folge von "Und ewig grüßt die Tütensuppe" baue ich mein Zelt auf.

Ich kuschele mich in den Schlafsack und schaue noch eine Weile auf das Wasser hinunter, das beruhigend gleichförmig und doch in unaufhörlich wechselnden Strudeln vor sich hin strömt. Irgendwann ist es so dunkel geworden, dass ich den Fluss nur noch hören kann. Ein rauschendes Einerlei, und trotzdem gibt es denselben Klang nie zum zweiten Mal.