Tag 156: Beeile dich langsam

Der Tag beginnt für mich genau wie der gestrige aufgehört hat, namlich mit sehr viel Erde und Himmel und dem Gefühl, dass grenzenlose Freiheit nicht nur über, sondern auch unter den Wolken zu haben ist.

Es weht ein kalter Wind und dann und wann fallen ein paar Regentropfen.

Grau und ungemütlich, könnte man sagen. Doch ich empfinde es nicht so.

Egal, ob das Wasser von oben kommt oder ob der Sumpf unter meinen Schritten hoch aufspritzt, heute perlt alles an mir ab. Ich bin einfach nur glücklich und kann gar nicht so genau erklären warum.

Sorgen und Gedanken, die ich sonst nur schwer loslassen kann, schrumpfen vor dem Hintergrund dieser unendlich weiten Landschaft in sich zusammen und entgleiten mir wie von selbst. Zugleich werde auch ich immer kleiner, nehme mich immer weniger wichtig und fühle mich mit jedem Schritt ein bisschen unbeschwerter, und das mit 20 kg auf dem Rücken.

Obwohl mir zu meinem Glück eigentlich gar nichts mehr fehlt, auch keine Rentiere, laufen sie mir heute in Scharen sehr fotogen vor der Kamera auf und ab.

Kurz darauf kommt auch noch die Sonne raus.

Manche Tage bieten einen solchen Überfluss an wunderbaren Augenblicken, dass man gar nicht weiß, wohin damit und anfängt, schöne Erinnerungen für schlechte Zeiten zu sammeln. Heute ist so ein Tag.

Ich wandere auf einem Regenbogenteppich zwischen Himmel und Erde, das Fjäll leuchtet mir nur so entgegen...

...die Aussicht ist überwältigend...

...und schließlich stellt sich eine zweite Rentierherde direkt vor meiner Nase zum Gruppenfoto auf: Bitte lächeln!

Irgendwann ist das Hotagsfjäll natürlich zu Ende und ich steige zur Baumgrenze ab. Doch so gerne ich die Welt hier oben mag, bin ich nicht traurig sie zu verlassen. Im Gegenteil, es ist ja gerade die Abwechslung zwischen verschiedenen Landschaften, die jeder einzelnen ihren besonderen Reiz verleiht.

So ist es zum Beispiel schön, mal wieder zwischen Bäumen hindurchgucken zu müssen, um Berge zu sehen.

Und ich freue mich über etwas weniger Unwirtlichkeit und etwas mehr Vertrautheit: Ein Gehöft im typischen Bullerbü-Stil zum Beispiel...

...oder Kühe, die aufgeregt an den Zaun gerannt kommen und mich sehr neugierig ansehen.

Abends finde ich an einen Baumstumpf genagelt dieses Schild:

"Beeile dich langsam" steht da drauf. Das beschreibt ziemlich genau, was ich auf so einer Langstreckenwanderung den ganzen Tag über tue oder zumindest zu tun versuche. Ich beeile mich, um die Strecke zu schaffen, die ich mir vorgenommen habe, schließlich will ich vorankommen, was erleben und was sehen von der Welt. Doch beeile ich mich nicht schnell, sondern in aller Ruhe, damit mir die Details nicht entgehen und ich die schönen Augenblicke einfangen kann. 

Sich langsam zu beeilen, ist gar nicht so leicht, doch wenn es gelingt, dann kann es sehr glücklich machen. Und ich glaube, das gilt nicht nur fürs Wandern, sondern auch sonst im Leben.