Tag 157: Ein langer See

Schon beim Zusammenpacken am Schlafplatz sehe ich unter mir den See liegen, an dem ich heute den ganzen Tag entlanglaufen werde.

Wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob man das so sagen kann. Einerseits ist es derselbe See, denn es ist alles ein Wasser. Andererseits bildet es zwischendurch Engstellen, um sich hinterher wieder zu weiten und wechselt bei diesen Gelegenheiten mehrmals den Namen.

Unten am Ufer des was auch immer (an dieser Stelle heißt es Valsjön) bin ich jedenfalls schnell angelangt. Ab hier ist heute Asphalt angesagt...

...ohne Elche zwar, aber dafür mit ein paar Ziegen am Straßenrand.

Schon mal ein guter Anfang. Auch wenn Straße auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen eintönig wirkt, ist es nämlich gar nicht so, dass man hier nichts erleben könnte.

Klar, wenn man sich zu schnell beeilt, dann sieht man nur den grauen Asphalt, und das Starren auf diese schier unendliche, weiß-gestrichelte Begrenzungslinie kann einen in den Irrsinn treiben. Also lieber Kopf hoch, denn dann sieht man den See - nach ein paar Kilometern sogar mit ein bisschen blauem Himmel.

Dann kommt die erste Engstelle. Hier kann man sich sehr gut langsam beeilen, indem man eine Weile zusieht, was für Wellen und Strudel beim Strömen entstehen.

Man kann über das klare Wasser staunen...

...oder einfach ein bisschen in der Sonne sitzen und hören, wie es vorbeirauscht.

Während ich mit Letzterem beschäftigt bin, setzt sich ein Schmetterling auf meinen Rucksack und bleibt richtig lange da, so dass ich ihn mir ganz genau anschauen kann.

Ich laufe weiter im verträumten Genau-Hingucken-Modus und entdecke, kaum dass ich wieder auf der Straße bin, eine zumindest aus Sicht eines Berliners kuriose Kleinigkeit.

Auf der Rückseite eines Verkehrsschildes klebt ein Aufkleber vom 1. FC Union. Der hat es aber weit geschafft! In manchen Gegenden Berlins ist so gut wie jede Laterne, Ampel, Parkbank... damit zugepflastert, aber doch nicht hier in Jämtland, wo es mehr Seen, Berge, Bäume und Felsen als irgendetwas anderes gibt.

Nur um Missverständnissen oder Ressentiments vorzubeugen: Würde da was Blau-Weißes kleben, würde ich das ganz genauso posten. Ich bin absolut unparteiisch. Mir ist total egal, wer wann wo welches Spiel gewinnt oder verliert, denn ich interessiere mich nicht für Fußball. Der Aufkleber ruft einfach nur sehr lebendige Bilder des lauten, turbulenten Berlin in mir wach und zwar mitten auf einer ziemlich verkehrsarmen Landstraße in einer der verschlafensten Ecken im nordwestlichen Mittelschweden. Das fühlt sich irgendwie lustig an und beschäftigt mich eine Weile. Nur deshalb erwähne ich es.

Was man hier sehr viel häufiger und leichter findet als irgendwelche Berlinassoziationen, sind Plätze an denen man die Beine in den Himmel baumeln lassen kann.

Auch wenn ich mich nach so viel Natur und Einsamkeit riesig auf die Stadt und mein Leben dort freue, so einen Anblick, wie er hier beinah alltäglich ist, werde ich vermissen.

Damit ich mich ganz langsam wieder an Stadt gewöhne, liegt heute das sehr übersichtliche Rötviken am Weg.

Nur ein paar Häuser und in der Mitte ein winziger Lebensmittelladen - garantiert ohne Anstehen an der Kasse.

Draußen steht ein gemütlicher Tisch, wo ich gierig eine Obstration verputze, und drinnen darf ich sogar das Handy laden.

Hinter Rötviken geht der See immer noch weiter. 

Er heißt jetzt Hotagen. Ein paar kleinere Namen zwischendurch unterschlage ich der Einfachheit halber.

Es gibt wirklich Einiges zu erleben an einem so langen See. Auf den letzten Kilometern lasse ich den Tag Revue passieren und fasse innerlich zusammen: Wasser, Beine im Himmel, Aufkleber, Ziegen, Schmetterlinge, Shopping... und wahrscheinlich ist mir noch ganz viel entgangen.

Ach ja, und Schlafplätze gibt's natürlich auch. Morgen gehe ich weiter am Ufer entlang. Ihr dürft gespannt sein.