Tag 159: Ganz schön blöt

Die Wettervorhersage stimmt leider. Morgens trommelt der Regen auf das Dach des Windschutzes, der Blick hinaus ist höchstens noch halb so schön wie gestern und ich habe eigentlich absolut keine Lust, mir die Schuhe anzuziehen. Am liebsten würde ich einfach im Schlafsack bleiben. Doch mit dem Gedanken an einen Supermarkt morgen, wenn ich heute ein gutes Stück schaffe, gelingt es mir schließlich, mich zum Aufstehen zu überreden. Motivation geht beim Wandern erstaunlich oft durch den Magen.

Als ich gerade alles fertig gepackt habe und aufbrechen will, kommen zwei tropfnasse Jagdhunde schwanzwedelnd in den Windschutz gehechelt. Es folgen drei ebenso tropfnasse Männer mit Gewehren über der Schulter, die hier des Schweden Lieblingsbeschäftigung nachgehen wollen: nämlich Kaffee trinken (ich hatte es glaube ich schon mal erwähnt: Schweden ist das Land mit dem weltweit größten Kaffeeverbrauch pro Kopf). Natürlich kommt sofort die Frage, ob ich auch einen will. Na klar, will ich. Sie erzählen, dass sie irgendwelche Vögel jagen, aber für heute wegen des schlechten Wetters abbrechen mussten. Während des Gesprächs fällt mir auf, dass es eigentlich lustig ist, dass das schwedische Wort für "nass" ganz ähnlich klingt wie das deutsche Wort "blöd", es wird auch fast genauso geschrieben, bloß mit "t" am Ende. Die Jäger müssen darüber ebenfalls lachen. Der eine kann sogar ein bisschen Deutsch und wir haben für eine Weile sehr viel Spaß dabei, uns über die oft witzigen und ebenso verblüffenden Ähnlichkeiten zwischen den beiden Sprachen auszutauschen. Wobei blöt und blöd vermutlich ethymologisch gar nichts miteinander zu tun haben, doch das weiß ich nicht genau. Was ich aber weiß ist, dass ich wider Erwarten doch noch gut gelaunt in den Tag starte.

Es geht auch wirklich erstmal sehr hübsch los.

Der Weg führt über die Westseite des Önrun, wo die Aussicht zwar ein bisschen dunstig verhängen ist...

...dafür jedoch die Beeren und Blätter am Boden um die Wette leuchten, so als wollten sie gegen den trüben Himmel aufbegehren.

Ganz aus der Nähe sind die Farben fast unwirklich grell.

Guckt's euch genau an, denn das war's mit knalligen Tönen. Ab jetzt geht's eher grau in grau weiter.

Egal ob Weg, Hose, Rucksack oder Knäckebrot, heute ist alles blöt.

Und die schmatzend matschigen Pfade durch den Sumpf sind sogar gleich doppelt blöt, von oben und von unten.

Zwar mag ich Sumpflandschaft wirklich gern.

Andernfalls würde ich wohl kaum durch Schweden wandern.

Doch heute bin ich froh, als ich endlich wieder festeren Waldboden unter den Füßen habe.

Zwar gibt es auch hier viel Wasser, aber mehr gesammelt in den Bächen und Flüssen statt überall schwammartig im Boden verteilt.

Noch weniger blöt läuft es sich auf Schotter...

...und der Gipfel an Komfort ist heute Asphalt.

Das nächste Luxushighlight meines Tages begegnet mir in Form einer zweiten Knäckebrot-Pause, diesmal im Trockenen.

Am Ortseingang des Dorfes Finnsäter steht neben einem Wanderparkplatz eine kleine Bretterbude. Zuerst denke ich, es ist ein Plumpsklo. Aber nein, hinter der Tür verbirgt sich ein Abstellraum für allerlei Gerümpel.

Teekanne, Zuckerdose, Lesebrille, stehengebliebenen Uhr, eine über sechs Jahre alte Östersunds-Posten und eine Urkunde von 1997, die an Finnsäters goldene Zeiten erinnert, als es mal Dorf des Jahres war.

Das Arrangement lädt nur begrenzt zum Verweilen ein. Doch wenn dies der einzige trockene Ort der Etappe ist, dann muss ich ja wohl. Ich klemme mich also irgendwo zwischen die Gartenstühle, ein altes Grillrost und das Dorfdiplom und mümmele mein restliches Knäckebrot. Hinterher geht's genauso blöt weiter wie vorher. Details erspare ich euch, denn ich konnte auf diesem Teilstück keine Fotos mehr machen, da sonst auch noch mein Handy blöt geworden wäre. Ich springe also direkt 14 Kilometer weiter, wo ich, blöt wie ich bin, am Waldrand mein Zelt aufbaue. 

Während ich drinnen Ordnung mache und mich umziehe, stelle ich fest, dass so gut wie alles blöt ist und dass blöt blöd ist, ganz gleich ob an Kleidung, Brillengläsern oder dem Pelz des ersten einzigen und kleinsten Schafes, das jemals versucht hat Mariannelund zu sehen. Vorhin wurde ich gefragt, ob es ihm gelungen ist. Das weiß ich nicht, denn Bernoscha schweigt sich darüber hartnäckig aus. Er redet generell nicht viel, ist dafür aber ein sehr guter Zuhörer.

Mit heißem Kaffee und Schokolade (heute mal weiß) sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. 

Ja, blöt ist ganz schön blöd, aber eben nur blöd, nicht wirklich schlimm. Irgendwann bin ich wieder trocken und alles ist gut. Zum Supermarkt müsste ich es morgen schaffen, habe also realistische Chancen nicht nur auf Knäckebrot, sondern sogar auf Knäckebrot mit Belag. Mit anderen Worten, ich habe kein wirklich gravierendes Problem, es ist einfach nur alles ein bisschen blöt, doch das geht vorbei.