Tag 160: Auch ich fast in Arkadien

Der Sonnenaufgang über meiner Lichtung ist nicht gänzlich überzeugend, aber wohlwollend interpretiert vielleicht als guter Anfang zu werten.

Was da rund um mein Zelt wächst, sind übrigens ausnahmsweise keine Birken, sondern tatsächlich Buchen. Die mittelschwedische Minivariante sozusagen. Richtig große Exemplare gibt es nur in Südschweden und da bin ich weit von entfernt. Doch die kleinen Bäumchen zeigen an, dass ich den ganz kargen Norden endgültig hinter mir gelassen habe.

Dies stimmt mich optimistisch genug, meinen Rucksack zum Wäscheständer umzufunktionieren.

Schwer behangen geht's zurück auf die Straße.

Himmel und Asphalt haben ungefähr dieselbe Farbe, doch immerhin regnet es nicht. Der Tag ist deutlich weniger blöt und das Leben deutlich mehr Ponyhof als gestern.

Ich laufe an einem Wegweiser nach Frankrike vorbei, das schwedische Wort für Frankreich. Beim Betrachten meiner blaugefrorenen Hände (die Handschuh sind noch nass von gestern) muss ich innerlich laut loslachen.

Vielleicht sollte ich da hin laufen, dürfte auf jeden Fall wärmer sein als hier. Doch leider führt mein Weg in die andere Richtung. Frankrike entfernt sich und Kaxås rückt näher. Pech gehabt.

Immerhin wartet in Kaxås der heißersehnte Supermarkt und ich beschließe mir Frankrike mit Hilfe eines Mousse au chocolat oder Croissants direkt hierher zu holen. Doch leider hat der Laden absolut nichts Französisches zu bieten. Na gut, wenn Frankreich nicht will, dann versuche ich es eben mit Italien.

Der Erfolg ist überwältigend: Anflüge von blauem Himmel über meinem Mittagstisch und beim Weitergehen ein sonnendurchfluteter Straßengraben, den man so auch südlich der Alpen finden könnte (also vielleicht ab Mitte November).

Für über einen kurzen arkadischen Moment hinausgehende italienische Atmosphäre steht die Sonne leider nicht oder höchstens sehr partiell zur Verfügung.

Doch mediterrane Illusionen ließen sich in dieser Landschaft ohnehin nicht erzeugen.

Der Sumpf ist einfach zu dominant und zwar beidseits der Straße.

Ohne Straße ist Sumpf natürlich viel schöner, doch wenn ich mir überlege, wie blöt ich gestern war, dann bin ich wirklich dankbar für jeden Zentimeter Asphalt.

Auf den Sumpf folgen landwirtschaftlich genutzte Flächen. Wieder so ein Zeichen, dass ich eigentlich schon im milden Süden bin, und prompt schlüpfen ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke.

Nachmittags erreiche ich endlich einen Wander- oder vielmehr Pilgerweg, den St. Olofsleden, der von Sundsvall bis nach Trondheim führt. So weit folge ich ihm zwar nicht, aber er wird mich doch immerhin für die nächsten vier bis fünf Tage in Richtung Westen begleiten.

Morgen kommt erstmal der Ort Mörsil, auch wieder mit Supermarkt. Meine zweite Chance auf ein Mousse au chocolat, das mir irgendwie seit Kaxås nicht mehr aus dem Kopf geht. Für den Fall, dass schon vorher dringender Interventionsbedarf in Sachen Wetter bestehen sollte, habe ich mir noch ein paar Notfall-Cantuccini aufgehoben.

Der St. Olofsleden begrüßt mich mit einem wunderschönen See...

...goldene Herbstimmung inklusive und noch immer kein Regen. Zum Abend hin sind allerdings wieder ein paar Tropfen angesagt. Ich weiß, ich sollte es nicht drauf ankommen lassen und mich lieber ranhalten, um noch im Trockenen einen Schlafplatz zu finden. Doch kann ich es einfach nicht lassen, eine Weile am Ufer zu stehen und darüber zu staunen, wie klar das Wasser ist.

Der St. Olofsleden ist waldig und wird zunehmend waldiger bis nur noch ein schmaler Pfad übrig ist.

Nach einigem Suchen finde ich eine Lichtung, die gerade groß genug ist für mein Zelt. Genau rechtzeitig, denn kaum dass ich den Reißverschluss zugezogen habe, prasseln die ersten Tropfen auf die Plane. 

Doch solange ich in meinem kleinen Häuschen liege, kann mir das Wetter egal sein.