Tag 163: Einsam geht anders

Und weiter geht's auf dem St. Olavsleden, erstmal noch durch ein kleines Stück Mattiswald.

Doch bald schon verdrängen die sich mehrenden Zeichen der Zivilisation den märchenhaft- verwunschenen Charakter. Unterquerungen von Bahnschienen mögen, sofern sie ausreichend zugewuchert sind, ja noch halbwegs ins Bild passen...

...doch spätestens an der E14 verliert sich jede Ronja-Assoziation und ich erkläre den Mattiswald für beendet. Eigentlich hatte ich ihn mir größer vorgestellt. Aber in Büchern und Filmen ist eben alles ein bisschen anders als in der Wirklichkeit. Deshalb guckt bzw. liest man sie ja.

Heute muss ich eine ganze Menge Asphalt treten und ein kleiner Ort reiht sich an den nächsten. Fast die ganze Zeit sind irgendwo Häuser zu sehen.

Einsam wandern geht anders, doch landschaftlich hat die Gegend trotzdem einiges zu bieten. Blickt man den Indalsälv hinauf oder hinunter so öffnet sich immer wieder irgendwo der Blick auf ein herrliches Bergpanorama, nicht selten mit hübschen Spiegeleffekten im Wasser.

Nachmittags erreiche ich das Städtchen Åre, ein wichtiger Wintersport- und Skiort. Hier wurde 1940 der erste Sessellift Schwedens eröffnet. Seit einigen Jahren versucht man, indem man die Hänge für Mountainbikes freigibt, auch im Sommer Touristen anzulocken, was zu funktionieren scheint. Zwar hat Åre rund um die alte Kirche auch noch ruhige verschwiegene Ecken...

...besteht jedoch größtenteils aus Cafés, Restaurants, Hotels und Sportgeschäften. Alles wirkt sehr sauber und dadurch etwas künstlich, wie eine sterile Playmobil-Stadt.

Jeden Tag bräuchte ich so eine Atmosphäre nicht. Doch als kurzes Intermezzo kann ich die Vorzüge von ein bisschen Rummel ganz gut genießen.

Burger und Pommes hatte ich wirklich lange nicht. Und hinterher gibt's auch noch ein Eis.

Ich glaube, ich habe noch nie zuvor so viele Outdoorläden auf so engem Raum gesehen wie in Åre. Einer hätte mir zwar gereicht, den jedoch kann ich tatsächlich ganz gut gebrauchen. Ich kaufe mir eine Leuchtmütze mit reflektierenden Punkten, damit ich gut zu sehen bin, falls ich an regnerisch-düsteren Nachmittagen mal Straße laufen muss, und auch mein Rucksack bekommt zwei kleine Neonanhänger. Dann lasse ich Åre hinter mir zurück. 

Auf dem Weg hinaus gibt es ein paar Bushaltestellen und als Wartehäuschen werden die ausrangierten Kabinen der Sessellifte benutzt. Eine tolle Idee, die meinen Eindruck vom etwas charakterlosen Zentrum ein bisschen revidiert.

Nachdem ich von der E14 abgezweigt bin, stehe ich rasch wieder im Wald.

Die Abendsonne schimmert durch die Zweige...

...und dicke Fichten ragen in den Himmel. Beinah als wären Burger und Pommes nie gewesen.

Doch Åre zieht Kreise: Es sind noch eine ganze Menge Spaziergänger unterwegs und auf den Wiesen und Hängen stehen hier und da Häuser. Abends wird der Indalsälven wieder ganz schön laut und ich komme an einen Wasserfall.

Wild tost der Tegeforsen durch den Fichtenwald.

Die Tropfen spritzen hoch auf und glitzern wunderschön im Licht der letzten Sonnenstrahlen.

Und weil Wasser nie zweimal auf dieselbe Weise strömt, sondern immer wieder anders aussieht, muss ich es auch gleich mehrmals fotografieren.

Man gelangt vom Ufer aus ohne Schwierigkeiten bis hinauf auf den Felsen, von dem sich der Tegeforsen hinabstürzt, und kann sozusagen über den Wasserfall hinweg in Sonneuntergang und Abendrot hineingucken.

Am liebsten würde ich mein Zelt direkt hier oben aufstellen. Doch es führen Spazierwege vorbei und ich habe das Gefühl, dass ich vielleicht jemanden stören könnte. Deshalb bin ich froh, ein kleines Stück flussabwärts einen Windschutz zu finden, für den sich niemand zu interessieren scheint.

Hier ist der Indalsälven wieder so ruhig, dass ich sogar noch kurz baden kann, wobei ich eine gewisse Sehnsucht nach der warmen Dusche gestern nicht ganz zu unterdrücken vermag. Nachdem es dunkel geworden ist, würde ich euch eigentlich gerne noch meine neue reflektierende Mütze zeigen, doch die funktioniert natürlich nur, wenn Licht darauf fällt. Mich selbst mit der Taschenlampe anzustrahlen und dabei auch noch zu fotografieren, klappt nicht. Ich brauche also ein Model.

Bernoscha hat die Mütze sowieso bereits zum Schlafen in Beschlag genommen. Obgleich er normalerweise weitgehend bedürfnislos und frei von Konsumgelüsten ist, freut er sich dennoch über die Neuanschaffung und ist auch ein wenig stolz darauf. Ein Leuchtbett, so etwas haben nicht viele Schafe. Vielleicht träumt er von Ronjas und Birks Abenteuern in einem riesengroßen, einsamen Mattiswald.