Tag 194: Ein letztes Fjäll

Den Campingplatz, auf dem ich geschlafen habe, muss man offenbar im Sonnenschein und von Weitem betrachten. Dann sieht er gar nicht so trostlos aus.

Und im Übrigen habe ich keinen Grund mich zu  beschweren. Ich habe trocken, warm und gut geschlafen und bin froh, dass in dieser absoluten Nicht-Saison überhaupt irgendeine Übernachtungsmöglichkeit geöffnet hatte. In Stöten "City-Center" jedenfalls wäre es schwierig geworden. Alles ist zu und verlassen. Der ganze Ort, in dem es im Winter Läden, Restaurants, Cafés und Hotels gibt, befindet sich in einem verstörend absurden Standby-Modus und wartet auf Schnee. Das Gegenteil von Winterschlaf sozusagen.

Ich bin froh, als ich endlich auf dem Wanderweg hinauf in die Berge angelangt bin, das obere Ende der erdig-matschigen Pisten unter mir verschwindet und ich damit die letzten Ausläufer einer unheimlichen Katastrophenfilmkulisse nach Aussterben der Menschheit durch was auch immer hinter mir zurücklasse.

Die Wege im Fjäll sind selbst um die Mittagszeit noch ziemlich vereist. Was gestern flüssig vom Himmel gefallen ist, scheint dauerhaft fest geworden zu sein.

Zumindest komme ich auf diese Weise trockenen Fußes durch den Matsch, wenn auch nicht ganz ohne Rutschgefahr. Der Sumpf schmatzt nicht mehr unter meinen Sohlen, sondern knirscht und manchmal klingt es wie berstendes Glas.

Klirrende Kälte im wahrsten Sinne des Wortes. Winter is coming!

Und mit ihm die ersten Schneeflocken. Oder strenggenommen sogar die zweiten, denn auf meinem Pausentagsausflug halbhoch zum Sylarna Mitte September gab es ja auch schon ein paar.

Aber was heute fürs Frieren sorgt, ist gar nicht so sehr der Schnee. Es ist der kräftige Wind, der völlig ungebremst über das baumlose Fjäll hinwegfegt und so schneidend kalt ist, dass ich mich mit dem Fotografieren richtig beeilen muss, weil ich kaum länger als eine Minute am Stück die Handschuhe ausziehen kann. 

Und das ändert sich auch nicht, als die Sonne rauskommt.

Aber egal, die Landschaft ist einfach viel zu schön, um sie nicht irgendwie festzuhalten. 

Also knipse ich mir die Finger blau und will trotz des ungemütlichen Wetters nirgendwo anders sein als genau hier oben.

Bis Montag noch. Dann habe ich auch das Sälenfjäll, das das südlichste und letzte auf meinem Weg ist, überquert.

Allmählich also heißt es Abschied nehmen von der unendlichen Weite, die ich so sehr mag.

Aber noch bin ich hier und noch ist auch nicht ganz Winter. Hier und da flammen ein paar Reste vom bunten Teppich auf und erinnern an den Herbst.

Trotzdem kann ich nicht mehr so wie noch vor ein paar Wochen hier oben zelten. Ich würde wegwehen oder festfrieren oder festgefroren davonfliegen, falls das geht. Auf jeden Fall alles nicht sehr erstrebenswert und deshalb steige ich zum Schlafen lieber ein Stück ab.

Es tauchen wieder Bäume auf. 

Erst nur vereinzelt...

...dann immer mehr.

Und schließlich finde ich unten im Wald ein Plätzchen auf weißem Moos mit einem winzigen Rest Abendsonne.

Erstaunlich wie viel milder es hier ist und beinah windstill. Als es vorhin schneite, hatte ich schon überlegt, heute lieber eine Rasthütte zum Übernachten anzusteuern. Nun aber bin ich sehr froh, dass ich das nicht gemacht habe. Ich schlafe einfach wahnsinnig gern im Zelt, was ihr euch vermutlich bereits gedacht hattet 😆

Ich mag es, abends noch eine Weile in die Dämmung zu gucken, die frische Luft und die Geräusche der Natur direkt um mich zu haben, die Erde direkt unter mir zu spüren, über mir die Baumkronen wogen zu sehen und bis in den Himmel blicken zu können. Das gibt mir ein ganz spezielles Gefühl der Geborgenheit, das ich sonst nirgends empfinden kann. Natürlich freue ich mich auch auf den Komfort einer Matratze und eines warmen Zimmers, den ich ja bald wieder haben werde. Doch bis dahin möchte ich abends noch so oft wie möglich mein kleines rotes Häuschen aufbauen.