Tag 199: Der ewige Sonntag

Vielleicht ist es, weil ich gestern mit Goethe geendet habe, vielleicht aus irgendeinem anderen Grund. Auf jeden Fall kommt mir heute morgen Eichendorff in den Sinn wie er seinen durch die Welt wandernden Taugenichts sagen lässt: "Mir war es wie ein ewiger Sonntag im Gemüte."

Seit dem 8. März bin ich unterwegs. Und jetzt, wo meine lange Wanderung ihrem Ende entgegengeht, geschieht es beinah automatisch, dass ich anfange, die lange Zeit des Unterwegsseins Revue passieren zu lassen.

Während ich nichts weiter zu erledigen habe, als einen Fuß vor den anderen zu setzen, schweifen meine Gedanken frei und zwanglos hierhin und dorthin. Das ist jeden Tag so. Doch waren und sind es ganz verschiedene und immer wieder andere und neue Themen, die mir durch den Kopf gehen.

Was heute im Vordergrund steht, ist ein Gefühl der Freude und Dankbarkeit.

Es ist ein großes Geschenk, dass ich so lange hier draußen sein und so viele wunderschöne Dinge sehen und erleben durfte.

Ich kann ohne zu lügen behaupten, dass ich während meiner gesamten Tour beinah ununterbrochen glücklich war.

Nur mit dem, was ich tragen kann, einfach in den Tag hinein zu laufen, lässt mich spüren, was ich wirklich brauche und was tatsächlich von Bedeutung ist. Im hektischen Alltag verliere ich dieses Wesentliche nur allzu oft aus dem Blick. Dann arbeite ich mich ab, weil ich mir einbilde, irgendetwas erreichen zu müssen, was mir zu meinem Glück noch fehlt.

Unterwegs wird mir mit jedem Schritt ein bisschen klarer, dass ich alles, was ich zum Glücklichsein brauche, bereits habe.

Je mehr ich diese Erkenntnis verinnerliche, desto mehr fallen Stress und Anstrengung von mir ab, desto dankbarer werde ich und desto mehr wird es mir wie ein ewiger Sonntag im Gemüte.

Ich will unbedingt versuchen, so viel wie möglich von diesem ewigen Sonntag mit hinüberzunehmen in die Zeit nach meiner Wanderung.

Ganz schön viel Nachdenkerei heute, werdet ihr vielleicht sagen. Stimmt, aber eben nun mal das, was mich beschäftigt, während ich weiter dem Countdown in Richtung Mora folge. Also schreibe ich darüber.

Was sich sonst noch ereignet hat, will ich euch aber auch nicht vorenthalten: Vormittags sitze ich eine Weile in der Sonne und trockne meinen vom kräftigen Morgentau noch nassen Schlafsack.

Mittags laufe ich durch den Ort Evertsberg. Hier ist die Hälfte des Vasaloppet geschafft. 

Es gibt ein rotes Holzkirchlein, viele rote Holzhäuschen...

...und zur Einstimmung auf meine nahende Ankunft in der Zivilisation neben all den Donnerbalken, die man sonst am Weg so finden kann, auch mal ein Wasserklosett. Natürlich braucht man so etwas nicht zwingend, um glücklich zu sein, doch eine willkommene Annehmlichkeit ist es durchaus.

Nachmittags erreiche ich mit dem Landkreis Mora einen kleinen Meilenstein.

Und abends komme ich an einer einsam zwischen hohen Fichten gelegenen alten Wassermühle vorbei.

Außerdem sehe ich heute sehr viele Seen, so blau, dass man beinah vergessen könnte wie kalt sie sind.

An Tagen, die sich noch mitten im Herbst derart sommerlich anfühlen, drängt sich der ewige Sonntag natürlich geradezu auf. Ich schaue mir den blauen Himmel also ganz genau an, damit die Erinnerung daran auch in trüberen Zeiten und an anderen Wochentagen lebendig bleibt.

Abends baue ich ein vielleicht letztes, vielleicht vorletztes Mal mein Zelt auf einer Waldlichtung auf.

Dann ist auch der hundertneunundneuzigste Sonntag in Folge vorbei. Viel ist eigentlich nicht passiert, doch war ich glücklich! Und ich denke, das allein sollte doch wohl schon reichen.