Tag 200: Fast wie Weihnachten

Heute ist ein eher herbstlich-trüber Tag.

Zwar lässt sich die Sonne hinter den Wolken hier und da erahnen... 

...doch so richtig rauskommen will sie nicht.

Am späten Nachmittag soll es Regen geben, der die ganze Nacht über anhält. Doch wenn ich nicht zu sehr trödele, dann kann ich es rechtzeitig in eine Hütte schaffen.

Ich beeile mich also, aber wie immer langsam. Schließlich will ich ja was mitkriegen vom Weg. Spektakulär ist die Strecke heute nicht. Aber es gibt durchaus ein paar hübsche Kleinigkeiten zu sehen. Dieser herbstliche Teich zum Beispiel, an dem ich eine Weile stehenbleibe, weil ich ihn gerade im etwas düsterem Licht sehr stimmungsvoll finde.

Wem der Wald heute zu grau und finster aussieht, kein Problem, denn es liegen auch ein paar Dörfer am Weg.

Die vielen roten Holzhäuschen wirken wie Farbklekse, die die Landschaft ein bisschen bunter machen. 

Ich merke, ich bin nicht nur runter vom Fjäll, sondern erreiche allmählich auch das etwas bewohntere Dalarna. 

Für ein kurzes Stück führt der Weg sogar an einer Straße entlang...

...und ich komme an einem niedlichen Kirchlein vorbei.

Außerdem passiere ich die fünfte und sechste Skipausenstation...

...jeweils mit Trinkwasserknopf. So viel Zivilisation war lange nicht.

Aber ist vielleicht ganz gut, denn ich muss mich ja langsam wieder an Häuser gewöhnen. Ende Oktober bin ich zurück in Berlin und da werde ich mit deutlich mehr klarkommen müssen als nur ein paar Bullerbü-Hütten. Doch nicht zu schnell. Als nächste Stufe zunehmender Urbanität kommt erstmal Mora. Der Countdown läuft.

Während gestern mehr so ein Tag des glücklichen Zurückdenkens war, so denke ich heute glücklich nach vorn. Sozusagen Vorfreude statt Nachfreude. Ich weiß, dass es dieses Wort nicht gibt, doch warum eigentlich nicht!? Schließlich kann man sich sowohl auf etwas Zukünftiges als auch über schöne Erinnerungen an Vergangenes freuen. Aus beiden Richtungen kann Glück in die Gegenwart fließen. Gestern also hatte ich Nachfreude, heute habe ich Vorfreude. Und weil ich mich nicht entscheiden kann, welche von beiden Freuden die größere ist, bin ich ganz einfach doppelt fröhlich.

Am Ende einer langen Wanderung ist es normal, dass meine Gedanken zwischen dem, was war, und dem, was kommt, euphorisch hin und her springen. Diese ganz spezielle Stimmung des Ankommens kenne ich schon von früheren Touren. Manche Tage gehören mehr der Nach-, andere mehr der Vorfreude. Heute ist definitiv ein Vorfreude-Tag. Es fühlt sich beinahe an, als stünde Weihnachten vor der Tür. Naja, irgendwie erinnern die ständigen Zahlen am Wegesrand ja auch ein bisschen an einen rückwärts laufenden Adventskalender. 

Direkt hinter Türchen Nummer 9 liegt die letzte Skipausenstation und daneben die Hütte, die ich knapp vor den ersten Regentropfen erreiche. Neun von neunzig Kilometern Vasaloppsleden hebe ich mir noch für morgen auf.

Während ich mich drinnen einrichte, fallen mir eine Menge Dinge ein, auf die ich mich riesig freue: Eine Sitzgelegenheit mit Lehne, vielleicht sogar gepolstert und Abendessen nicht immer nur im Dämmerlicht oder Taschenlampenschein.

Mal wieder was anderes als Tütensuppe und Nudeln mit kurzer Kochzeit. Richtigen Kaffee aus einer richtigen Tasse. Mein eigenes Bett und ein Zweit- oder sogar Drittbuch auf dem Nachttisch. Mehr als nur zwei wasserdichte Packsäcke voll Klamotten und zwar idealerweise unter einem wasserdichten Dach in einem Kleiderschrank, der dann ja gar nicht wasserdicht sein muss. Die Liste könnte ewig weitergehen: Fernseher, warme Dusche, Rasierapparat, Wasserkocher, Heizung, Waschmaschine, und, und, und...

Ihr seht, allein schon die völlig profanen Dinge sind mir ein Grund zu heller Vorfreude, die sich allerdings noch um ein Vielfaches steigert, wenn ich an das denke, was wirklich von Bedeutung ist. Und dafür brauche ich keine lange Aufzählung, eigentlich genügt ein einziger Satz: Ich freue mich, all die Menschen wiederzusehen, die ich über die lange Zeit hinweg vermisst habe, allen voran meinen Mann Martin.